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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einer Situation wie dieser hatte Andrej keinen Sinn für Fairness: Er stieß dem Vampyr das Knie in den Rücken, zog ihn heran und warf ihn mit aller Macht gegen die gegenüberliegende Wand.
Und glatt hindurch. Das dünne Geflecht aus Stroh, Lehm und Farbe zerbarst in einer brodelnden Staubwolke, und der Brite fiel mit wirbelnden Armen in das angrenzende Zimmer. Andrej setzte ihm nach, bevor er auf dem Boden aufschlagen konnte.
Im ersten Moment war er praktisch blind. Zudem bekam er kaum Luft, weil ihm der Staub in Mund und Nase drang, aber er hörte das überraschte Keuchen seines Gegners, und mehr brauchte er nicht. Mit einem einzigen Schritt war er bei ihm, riss ihn mit beiden Händen in die Höhe und versetzte ihm einen Kopfstoß, dann einen doppelten Hieb gegen Herz und Leib. Überraschung und Erstaunen malten sich auf dem Gesicht des Riesen, als er auf die Knie sank. Andrej versetzte ihm einen Faustschlag gegen den Adamsapfel, der ihm den Kehlkopf zertrümmerte und ihn tötete; wenigstens kurzfristig.
»Weißt du, mein Freund«, sagte er, »du bist wirklich nicht der Erste, der sich zu sehr auf seine Kraft verlässt. Schade, dass du keine Gelegenheit mehr haben wirst, daraus zu lernen.«
Der Brite gurgelte eine Antwort, die Andrej nicht verstand, verdrehte die Augen und erstickte zuckend. Andrej trat gebückt durch das Loch ins Nebenzimmer zurück, um sich um den zweiten Vampyr zu kümmern. Er kam zu spät.
Auch wenn es ihm hundertmal länger vorgekommen war, so hatte der verbissene Kampf doch nur wenige Sekunden gedauert, aber selbst diese kurze Zeitspanne hatte dem Henker und seiner Frau gereicht, um wieder aufzustehen und ins Zimmer zu stürmen. Die Dunkelhaarige war neben dem zerborstenen Bett auf die Knie gefallen und beugte sich verzweifelt weinend über einen winzigen, reglosen Körper, der inmitten der Trümmer lag, aber ihr Mann beging einen tödlichen Fehler: Statt sich um das andere Kind zu kümmern oder – was vernünftiger gewesen wäre – seine Frau in Sicherheit zu bringen, stürzte er sich mit einem gellenden Schrei auf den zweiten Vampyr, der noch immer scheinbar hilflos am Boden lag und ebenso verbissen wie vergeblich versuchte, den Holzpflock aus seiner Schulter zu ziehen.
Der Scharfrichter half ihm dabei, indem er ihn mit beiden Händen in die Höhe riss und dann mit gewaltiger Kraft gegen die Wand schmetterte. Der Vampyr brüllte vor Schmerz, als der zersplitterte Pfosten tiefer in seinen Rücken hinein- und zugleich weiter aus seiner Schulter herausgetrieben wurde, packte den Pflock mit beiden Händen und riss ihn vollends aus seinem Leib heraus – und in die Kehle des Henkers hinein.
Blut schoss in einer schaumigen Fontäne aus dem zerfetzten Kehlkopf des Mannes, und der mörderische Hass in seinen Augen wurde zu Überraschung, dann zu Schmerz. Blasiges Rot erschien auf seinen Lippen, während er den Vampyr losließ und gleichzeitig langsam in die Knie sank, und dieser Anblick war zu viel für Andrej.
Er versuchte nicht, dem Mann zu helfen – es gab nichts mehr, was er für ihn tun konnte; der Mann war bereits tot –, sondern stürzte sich knurrend auf den Vampyr, brach seinen Widerstand mit einem einzigen, harten Rückhandschlag und nahm seine Seele.
Es ging so schnell, dass Andrej beinahe selbst überrascht war. Er hatte nicht mit viel Gegenwehr gerechnet, doch der Vampyr versuchte nicht einmal sich zu verteidigen, und Andrej spürte auch keinerlei Erschrecken oder Furcht, sondern nur Verwirrung. Dann war es auch schon vorbei, und der Körper in seinen Händen erschlaffte, als Andrej die Lebenskraft des Vampyrs seiner eigenen hinzufügte. Seine Seele war dünn, kraftlos und bestand nahezu ausschließlich aus Furcht; nicht die Seele eines Vampyrs, sondern noch die eines Sterblichen, der nur einen winzigen Schritt in eine andere Richtung getan hatte.
Andrej ließ den leblosen Körper los, prallte einen Schritt zurück und war einen Atemzug lang entsetzt von seinem eigenen Tun. Dann gewann seine Vernunft erneut die Oberhand. Es war noch nicht vorbei. Der Brite war tot, aber wer, wenn nicht er selbst, wusste, was für ein flüchtiger Zustand der Tod sein konnte? Er hatte den Vampyr verletzt, wohl tödlich, aber trotzdem nicht schwer. Sein fantastischer Körper würde vielleicht nur Augenblicke brauchen, um die Wunde zu heilen und das Leben, oder was auch immer Wesen wie sie dafür halten mochten, in seinen Körper zurückzuzwingen.
Trotzdem eilte er nicht sofort ins Nebenzimmer

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