Goettersterben
verschwommenen Schemen, der sich in beständiger Auflösung zu befinden schien, um dann gleich darauf wieder eine neue Form anzunehmen. Groß und Dunkel strahlte er Kraft und Stärke aus, eine Aura, die ihm schier den Atem nahm und hinter der er noch etwas anderes, sehr viel Stärkeres spürte, ohne es begreifen zu können. Vielleicht auch etwas Vertrautes.
»Wer bist du?«, fragte er noch einmal.
»Nicht dein Feind«, antwortete der Schatten. »Oder vielleicht doch … wer weiß? Aber wenn, dann muss das nicht so bleiben, meinst du nicht auch? Manchmal werden aus den schlimmsten Feinden die besten Freunde. Und manchmal aus Freunden Feinde. Aber wem sage ich das?«
»Ich habe dich gefragt, wer du bist! Zum dritten und letzten Mal, wer …«
Der Schatten machte eine kaum sichtbare, fast beiläufige Bewegung, und eine unsichtbare Hand schlug Andrejs Arm beiseite und riss ihm das Schwert aus den Fingern. Gunjir prallte hinter ihm gegen die Wand und fiel scheppernd zu Boden.
»Jetzt bin ich verwirrt. Soll ich nun enttäuscht sein, dass du mich nicht erkennst, oder stolz darauf, dass meine Verkleidung ihren Dienst so gut zu tun scheint?« Der Schatten bewegte sich. Ein verirrter Lichtstrahl brach sich auf schwarzem, ölig glänzendem Haar und mattem Gold. »Und dabei hast du so lange nach mir gesucht. All die Jahre … und dann erkennst du mich nicht einmal?« Für den Bruchteil eines Atemzuges war die Mauer nicht mehr da. Der Schatten blieb ein Schatten, durch einen geheimnisvollen Zauber seinem Blick bis auf das Wenige entzogen, was er ihm zeigen wollte, aber für einen kleinen Moment sah er dennoch, wem er gegenüberstand.
»Lo…«
Der Schatten machte einen Schritt auf ihn zu, der zu schnell war, als dass sein Blick ihm folgen konnte. Noch schneller war der Schlag, der ihn zu Boden warf. »…ki«, führte er zu Ende. »Ja. Ich glaube, das ist der Name, unter dem du mich kennengelernt hast.« Die Maske fiel endgültig, und Andrej fühlte den verheerenden Zorn des Wesens, das da als Mensch über ihm stand und doch so weit davon entfernt war, ein solcher zu sein. Diese Kreatur wollte ihn vernichten, mehr als alles andere auf der Welt.
Auch Andrej wollte ihren Tod. Noch mehr, als dieses Ungeheuer ihn vernichten wollte. Er würde es töten, und wenn er Gott selbst herausfordern musste, um dieses Ziel zu erreichen.
Loki versetzte ihm einen Fußtritt vor die Schläfe, der ihn zurück und halb bewusstlos gegen die Wand schleuderte, rammte ihm das Knie in den Brustkorb und riss den Arm zu einem tödlichen Schlag zurück, in dem all seine unvorstellbare Kraft lag, die selbst die Andrejs um ein Hundertfaches übertraf.
Aber er schlug nicht zu.
»Nein«, sagte er. »Das wäre zu leicht.« Statt es zu Ende zu bringen und ihn zu töten, stand er auf, wich mit zwei oder drei schnellen Schritten wieder in den Schatten der Tür zurück und verschmolz damit. Doch ebenso schnell war er wieder zurück und bückte sich nach Gunjir. Wahrscheinlich zog er es vor, ihn mit der Götterklinge zu töten statt mit der bloßen Hand, dachte Andrej. Aber er tat auch das nicht. Stattdessen ließ er sich noch einmal neben ihm auf die Knie sinken, schlug zuerst Andrej mit solcher Kraft ins Gesicht, dass er schon wieder beinahe das Bewusstsein verloren hätte, dann schob er Gunjir wieder in die Lederscheide an seinem Gürtel. »Falls es dir eine gewisse Genugtuung verschafft«, sagte er, während er aufstand und wieder mit den Schatten verschmolz, »es fällt mir nicht leicht, dir diese Klinge zurückzugeben. Von Rechts wegen steht sie mir zu. Sie ist sehr alt, weißt du? Sie gehört zu unserer Familie, und sie hat mehr gesehen, als du dir auch nur vorzustellen vermagst.« Er schien auf eine Antwort zu warten. Andrej gab sich auch redliche Mühe, doch er konnte nur Blut spucken. Alles in ihm war Schmerz, und Lokis Tritt hatte irgendetwas in ihm zerbrochen. Blut füllte seinen Mund so schnell, dass er daran zu ersticken drohte.
Dann machte der Schatten über ihm eine flatternde Bewegung, und er spürte, wie das Blut versiegte, und zerrissenes Fleisch und gebrochene Knochen sich zusammenfügten und heilten.
»Bitte entschuldige, mein zukünftiger bester Freund«, sagte Loki. »Aber ich hielt es für angebracht, dir etwas zu zeigen. Deine Unsterblichkeit währt nur so lange, wie ich es will.«
Mühsam kämpfte sich Andrej durch einen Nebel aus Agonie und Frustration ins Bewusstsein zurück, doch zu einer Antwort war er nicht fähig. Zorn. Wut. Das war
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