Göttin der Rosen
sofort erklang ein Klopfen an der Wand auf der anderen Seite ihres Zimmers. Mikki öffnete die Augen gerade in dem Moment, in dem anscheinend aus dem Nichts eine Tür aufging, und erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen breiten, mondfarbenen Flur, bevor Gii hereingehuscht kam. Die Arme der Dienerin waren behängt mit bernsteingelben, cremefarbenen und goldenen Stoffen.
»Guten Morgen, Empousa.« Sie knickste anmutig.
»Ich habe es geschafft!« Mikki lächelte. »Ich habe gerufen, und du bist gekommen.«
Giis Lächeln war warm. »Immer gern, Empousa! Es ist eine wahre Freude, wieder eine Hohepriesterin Hekates in unserem Reich zu haben. Wir waren zu lange untätig.« Sie hielt inne und sah sich um. »Habt Ihr die anderen Dienerinnen nicht auch gerufen?«
»Ehrlich gesagt wollte ich heute, da ich noch nicht daran gewöhnt bin, Dienerinnen zu haben, erst mal mit dir anfangen. Ist das okay für dich?«
»Wie immer es Euch beliebt, Empousa. Es ist eine Ehre, dass Ihr mich ausgewählt habt, Euch zu helfen.«
Durch die Begeisterung der jungen Frau fühlte sich Mikki schon viel weniger nervös. Zwar hatte sie keinen blassen Schimmer, was sie tun sollte, aber immerhin war sie dort, wo sie hingehörte. Alles andere würde sich mit der Zeit ergeben. Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Giis beladene Arme. »Ich wollte dich bitten, mir zu helfen, etwas Passendes zum Anziehen zu finden, aber das hast du offensichtlich schon erledigt.« Mikki hoffte inständig, dass ihr heutiges Outfit beide Brüste bedecken würde.
»Natürlich, Empousa. Ich wusste, dass Ihr es sicher kaum erwarten könnt, nach Euren Rosen zu sehen. Als Ihr mich gerufen habt, habe ich gleich alles, was Ihr braucht, mitgebracht.«
Gii half Mikki aus ihrem Nachtgewand, und, mit dem höchst erfreulichen Gedanken an ihre Rosen im Kopf, stand Mikki ganz still, während die Dienerin die lange, goldene Stoffbahn um ihren Körper wickelte. Mit goldenen Nadeln, die sie aus den Tiefen ihrer eigenen voluminösen Gewänder zutage förderte, steckte Gii den Stoff an ihren Schultern fest. Gott sei Dank wurde daraus ein Gewand, das alles bedeckte, was Mikki bedeckt haben wollte. Zum Schluss löste die Dienerin einen der kunstvoll geflochtenen Gürtel von ihrer eigenen Taille und schlang ihn um Mikkis Hüften.
»Gii, ich will mich wirklich nicht beschweren, und dieses …« Sie suchte nach dem richtigen Wort für das fließende, Toga-artige Gewand. »… dieses Kleid ist wirklich schön und schmeichelhaft, aber hast du nichts, was sich etwas besser für die Arbeit im Garten eignet?«
Gii richtete sich auf und sah Mikki, ein verwirrtes Lächeln auf den Lippen, an. »Welches Kleidungsstück sollte sich besser für die Gartenarbeit eignen als ein Chiton?«
»Na ja, das ist eine ganze Menge Stoff.« Mikki deutete auf die goldenen Tuchbahnen, die ihr bis an die Fußknöchel reichten. »Stört das nicht?«
»Nicht, wenn Ihr es hier und hier feststeckt.« Gii zog ihren eigenen mintfarbenen Chiton hoch und steckte ihn an ihrem Gürtel fest, so dass ihre langen, kräftigen Beine so gut wie nackt waren. Dann streckte die Dienerin der Erde ihre Arme aus. »Keine lästigen Ärmel, aber wenn Euch kalt wird, könnt Ihr einfach Eure Palla um die Schultern binden.«
»Palla?«
Gii bedachte ihre Hohepriesterin mit einem Stirnrunzeln. »Empousa, habt Ihr noch nie einen Chiton mit einer Palla getragen?«
Nur mit großer Willensanstrengung konnte Mikki sich einen frustrierten Aufschrei verkneifen. »Gii, ich habe dir doch schon erklärt, dass meine Welt kaum etwas mit dieser hier gemeinsam hat. Dort kannte ich keine Priesterinnen und Göttinnen, und wir Frauen haben uns ganz anders angezogen. Wenn ich im Garten gearbeitet habe, trug ich Jeans« – sie machte eine Bewegung, als würde sie in ein Paar Hosen steigen – »und ein kurzes T-Shirt, das man sich einfach über den Kopf ziehen konnte und das nur den Oberkörper bedeckte.«
Gii machte ein entsetztes Gesicht. »Ich will nicht schlecht über Eure Welt sprechen, Empousa, aber das klingt barbarisch. Warum würde eine Priesterin oder sonst irgendeine Frau sich so unschmeichelhaft und unbequem kleiden?«
Mikki wollte schon erwidern, dass sie Jeans nie als unschmeichelhaft oder unbequem angesehen hatte, aber als ihr Blick auf ihr eigenes Abbild in dem Ganzkörperspiegel fiel, blieben ihr die Worte im Hals stecken. Sie sah aus wie eine Königin aus einer längst vergangenen Welt. Fasziniert trat sie näher an den Spiegel
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