Göttin der Rosen
nun ja … sie richtig einweisen?
Aber ihre Intuition sagte ihr, dass ihre Neugier sie nur noch unerfahrener und unsicherer erscheinen lassen würde. Sie hatte sich gerade erst ein bisschen Respekt erarbeitet, und den wollte sie ungern gleich wieder aufs Spiel setzen. Aber das war nicht der einzige Grund für ihre Zurückhaltung. Da war noch etwas, was sie nicht genau benennen konnte, etwas in der Art, wie die Frauen die Augen von dem Wächter abwandten und sich immer ein Stück von ihm fernhielten …
»Entschuldigt Ihr mich einen Moment, Empousa?«, fragte Gii.
»Oh, tut mir leid, Gii, ich war in Gedanken. Ja, es ist Zeit für eine Pause. Und dann würde ich gern mehr über die Traumweberinnen erfahren.« Was, wie sie hoffte, wenigstens ein sicheres Thema war. Während Gii einigen Frauen, die in der Nähe arbeiteten, auftrug, den anderen drei Elementaren mitzuteilen, dass es Zeit fürs Mittagessen war, zog Mikki sich auf eine der Marmorbänke zurück, die in hübschen rosenbewachsenen Nischen überall in den Gärten standen. Als sie sich setzte, wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie war, und sie spürte eine tiefe Dankbarkeit, dass Gii die Frauen so kompetent und schnell zur Ordnung rief. Sie verteilten sich in kleinen Gruppen um Bänke und Brunnen, und der leise Klang ihrer Unterhaltungen mischte sich mit dem stets präsenten Duft der Rosen und schuf eine Atmosphäre, in der Mikki sich trotz ihrer angespannten Muskeln und der Übelkeit, die sie einfach nicht loswurde, wohl fühlte.
Sie atmete tief durch und stellte sich vor, wie wunderbar die Gärten aussehen würden, wenn sie wieder gesund waren, und vor ihrem inneren Auge erschienen die Rosen in voller Blüte. Ihr Tagtraum kam jedoch zu einem abrupten Ende, als ihr Blick auf den Wächter fiel, der die letzten Frauen durchs Rosentor führte. Er wirkte so verdammt ernst und bedrückt. Warum nur? Was hatte der Wald an sich, das ihn beunruhigte? Vielleicht war er einfach immer so angespannt. Aber nein, sie erinnerte sich an das amüsierte Glitzern in seinen Augen und daran, wie sanft er ihre Haare berührt hatte. Er war ganz eindeutig nicht immer angespannt. Sie musste dringend ein offenes, ehrliches Gespräch mit ihm führen. Ohne Geheimnisse und ohne Ausflüchte. Wenn der Wald wirklich so gefährlich war, wie er sagte, dann musste sie wissen, warum.
Mit einem knappen Befehl des Wächters schloss sich das Tor nahtlos. Mikki gähnte und streckte sich und versuchte, ihn nicht allzu offensichtlich zu beobachten. Eine der Palastdienerinnen trat zu ihm und bot ihm einen Korb mit Essen an. Er ignorierte das Essen, nahm aber einen Trinkschlauch, hob ihn an die Lippen und trank gierig. Dann reichte er der Frau den Schlauch zurück, und sie eilte davon. Als sie weg war, lief er zu einem Baum in der Nähe der Rosenmauer und schien in seinem Schatten zu verschwinden.
Kurz darauf kam Gii mit einem Korb, aus dem es köstlich duftete, zu Mikki geeilt und setzte sich neben sie.
»Mögt Ihr das Essen nicht, Empousa?«, fragte sie, als Mikki keine Anstalten machte, sich zu bedienen.
Schnell wandte Mikki den Blick von dem Schatten unter der Eiche ab. »Nein, es ist ganz wunderbar.« Sie brach ein Stück von dem langen, dünnen Brotlaib ab und belegte es mit einer Scheibe Käse. »Ich habe mich nur gefragt, warum er nichts isst«, erklärte sie möglichst ungezwungen.
»Ich habe ihn noch nie essen sehen«, sagte Gii, während sie ihr eigenes Brot bestrich, und zuckte die Schultern. »Was nicht heißt, dass er es nicht tut. Er muss ja essen. Das Essen, das wir ihm vor seine Höhle stellen, verschwindet jedenfalls immer und muss ersetzt werden.«
»Seine Höhle?«, wiederholte Mikki ungläubig und erstickte fast an dem Stück Käse, das sie gerade hinunterschlucken wollte.
»Ja, seine Höhle.« Offensichtlich konnte Gii Mikkis Verwunderung nicht nachvollziehen. »Der Ort, an dem er schläft – wo er hingeht, wenn er nicht hier draußen bei den Rosen ist.«
»Ich dachte, er wohnt im Palast, so wie ich.«
»Oh, nein, Empousa, er ist ein wildes Tier.« Gii klang entsetzt. »Es wäre nicht richtig, wenn er im Palast wohnen würde.«
Mikki starrte ihre Dienerin fassungslos an und versuchte, sowohl ihren Gesichtsausdruck als auch ihre Worte zu entschlüsseln. Die Erd-Frau war sonst immer freundlich und mitfühlend, so sehr, dass Mikki ihre Gesellschaft der der anderen Dienerinnen vorzog und das Gefühl hatte, dass sie sich anfreundeten. Doch als Gii jetzt über den Wächter
Weitere Kostenlose Bücher