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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Unannehmlichkeiten –«, begann sie, wurde aber von Madeleine unterbrochen.
    »Ach was, Sie konnten das nicht wissen.« Ihre rauhe Stimme unterstrich ihr resolutes Auftreten. »Aber merken Sie sich das für die Zukunft: Starren Sie keinen der Eingeborenen an, wenn es nicht unbedingt nötig ist, schon gar keine Kinder, und niemals, ich wiederhole niemals, wenn ihre Eltern dabei sind.«
    »Aber was habe ich denn getan?«
    »Was wir Anstarren nennen und schlimmstenfalls unhöflich finden, ist für die Menschen hier so etwas wie ein Mordanschlag. Sie glauben, jemand wolle ihnen mit Hilfe des bösen Blicks ans Leben. Eine ganze Menge aufwendiger Rituale sind nötig, um das, was Sie getan haben, wieder rückgängig zu machen. Einen Dämon streift man nicht einfach mit einem Geldschein ab, auch wenn es den Vorgang manchmal ein wenig beschleunigt.«
    Cendrine konnte nicht anders, sie mußte plötzlich lächeln. »Diese Frau glaubt wirklich, ich wollte ihrem Sohn etwas zuleide tun? Das ist doch absurd.«
    »Für Sie und für mich«, sagte Madeleine ernst, »aber nicht für diese Leute. Lernen Sie, auf solche Dinge zu achten, wenn Sie länger bei uns bleiben wollen.«
    Cendrine hörte schlagartig auf zu lächeln und nickte. Einerseits beeindruckte sie die robuste Art, mit der Madeleine die Dinge handhabte und dabei kein Blatt vor den Mund nahm; auf der anderen Seite aber fühlte sie sich zutiefst verunsichert. Es würde gewiß nicht einfach sein, den Ansprüchen dieser Frau gerecht zu werden.
    »Die Beurteilungen Ihrer Lehrerinnen waren hervorragend«, sagte Madeleine und musterte Cendrine von oben bis unten, als hätte sie mit einemmal Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Zeugnisse. »Sie sind noch sehr jung.«
    »Mein Geburtsdatum stand in meinen Unterlagen«, entgegnete Cendrine.
    Falls Madeleine ihre Erwiderung als frech empfand, verriet sie es durch nichts. »Salome und Lucrecia sind gerade mit ihrem Reitlehrer unterwegs. Mein Mann hat Ihnen doch geschrieben, daß die beiden von Ihnen eine umfassende Bildung erhalten sollen?«
    »Selbstverständlich.«
    »In Windhuk gibt es seit 1894 eine Schule für weiße Kinder, aber der Weg dorthin ist zu weit, und mir gefällt der Umgang nicht, den sie dort haben würden. Ich lege großen Wert auf Anstand, gute Sitten und eine christliche Erziehung. Denken Sie, Sie können das leisten?«
    »Natürlich.« Wollte Madeleine sie wirklich angreifen, oder war dies alles nur Teil einer Prüfung, eine Art Feuertaufe? Cendrine wurde immer unbehaglicher zumute.
    Madeleine sah sie noch einen Moment länger an, wobei Cendrine sich Mühe gab, ihrem strengen Blick so ruhig wie möglich standzuhalten, dann drehte sie sich plötzlich zum Eingang um und rief: »Johannes!«
    Als sich nichts rührte, wiederholte sie den Ruf noch einmal, diesmal schärfer. Sekunden später kam ein San ins Freie gelaufen, der in seiner kleinen Butleruniform seltsam unbeholfen wirkte, fast wie eine Karikatur.
    »Bring Fräulein Muck auf ihr Zimmer.« Und an Cendrine gewandt sagte sie: »Sie sind gewiß erschöpft. Eines der Dienstmädchen wird Ihnen Ihr Essen später aufs Zimmer bringen. Es reicht, wenn Sie den Rest der Familie morgen früh kennenlernen.« Mit einem knappen Nicken fügte sie hinzu: »Willkommen in Südwest, Fräulein Muck! Und willkommen in meinem Haus.« Damit drehte sie sich um und trat durch das Portal ins Innere.
    Cendrine sah ihr verwundert nach und unterdrückte ihren Ärger. Vom ersten Tag ihrer Ausbildung an hatte man ihr eingebleut, daß es unschicklich sei, gegen die Wünsche der Herrschaft aufzubegehren. Nur wer sich unterordnete, konnte die Aufgaben einer Gouvernante zur Zufriedenheit aller erledigen.
    Johannes, der Butler, hatte derweil ihr gesamtes Gepäck geschultert. Er sah ein wenig unglücklich drein, doch als Cendrine ihm anbot, einen Teil davon selbst zu tragen, schüttelte er mit Vehemenz den Kopf und wirkte beinahe beleidigt.
    »Johannes ist doch nicht Ihr wirklicher Name, oder?« fragte sie, als sie ihm über den Hof zu einem Seiteneingang folgte.
    »Die Dame des Hauses schätzt die Namen ihrer Heimat«, gab er kurz angebunden zurück. Sein Akzent war nicht zu überhören, trotz der makellosen Grammatik.
    Der Flügel, in den er sie führte, wirkte unbewohnt. Er lag auf der linken Seite des Hofes und formte einen der beiden langen Seitenschenkel des Haupthauses. Von weitem hatte Cendrine gesehen, daß von hier aus noch andere Nebenflügel abzweigten. Selbst aus ihnen schienen immer noch

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