Göttin der Wüste
vielgerühmten Namen als Forscher gemacht, hatte lange Zeit in Indien und Vorderasien gelebt, ehe es ihn schließlich hierher verschlagen hatte. Während eines Herero-Aufstandes in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren er und seine Familie einer aufgebrachten Meute von Eingeborenen zum Opfer gefallen. Das Anwesen hatte daraufhin einige Jahre leer gestanden, ehe Titus Kaskaden es erworben und instand gesetzt hatte.
Cendrine legte ihren Mantel und die staubigen Stiefeletten ab und warf sich aufs Bett. Gegen ihren Willen mußte sie sich eingestehen, daß sie in der Tat erschöpft war und daß Madeleine Kaskaden wohl ganz recht daran getan hatte, sie erst einmal auf ihr Zimmer zu schicken. Zwar war sie gespannt auf ihre beiden Schülerinnen, und auch Valerians Bemerkungen über seinen Vater hatten sie neugierig gemacht, doch im Augenblick war sie froh, keinen Gedanken an Etikette und Begrüßungsfloskeln verschwenden zu müssen. Nur daliegen, ausruhen und über ihre neue Umgebung nachdenken – mehr wollte sie im Moment eigentlich gar nicht.
Sie war froh, endlich angekommen zu sein, in einem Haus wie diesem, größer und prächtiger als jedes, das sie sich während ihrer Ausbildung erträumt hatte. So aufgeregt sie immer noch war, so sehr freute sie sich auch auf die beiden Mädchen und den Unterricht mit ihnen.
Immer wieder aber schoben sich vor ihre Gedanken an die Zukunft Bilder aus der Vergangenheit. Cendrines Eltern waren vor vierzehn Jahren ums Leben gekommen, und nach einer kurzen Zeit im Waisenhaus hatte ihr älterer Bruder Elias Cendrines Erziehung übernommen. Tag und Nacht hatte er gearbeitet, um das Geld zu verdienen, mit dem er sich und seine kleine Schwester über Wasser hielt. Begonnen hatte er seine Laufbahn als Botenjunge eines großen Kaufhauses, war aber bereits mit zwanzig auf einen Posten in der Verwaltung des Geschäfts aufgerückt. Elias war vier Jahre älter als Cendrine, und sie würde niemals vergessen, daß sie ihm alles zu verdanken hatte. Sogar die Mittel für ihre Ausbildung hatte er aufgebracht, und obwohl sie ihm immer wieder versichert hatte, eines Tages alles zurückzuzahlen, hatte er nie darauf bestanden.
Jahrelang hatten sie sich ein einzelnes Zimmer auf dem Dachboden eines alten Mietshauses am Hafen geteilt, und da sie auf die eine oder andere Weise über die Runden gekommen waren, hatten sich nie Dritte zwischen sie gedrängt. Es gab keine Verwandtschaft außer zwei entfernten Großcousinen in Bayreuth, aber Cendrine und Elias hatten es ohnehin vorgezogen, unabhängig zu sein. Ihre Beziehung war enger als die aller anderen Geschwister, die Cendrine kannte, und sie war sich immer bewußt gewesen, wie glücklich sie sich schätzen durfte, ausgerechnet Elias zum Bruder zu haben.
Um so größer allerdings war auch der Schock gewesen, als er ihr eines Tages erklärt hatte, er habe seine Stellung gekündigt und sich entschlossen, in Südwestafrika eine Rinderzucht aufzubauen.
»Aber du verstehst nicht das Geringste vom Rinderzüchten«, hatte sie aufgebracht entgegnet, nachdem sich ihr erster Schreck gelegt hatte, sie aber immer noch nicht sicher war, ob er sie nicht doch nur auf den Arm nahm.
Elias hatte ihr versichert, daß es ihm sehr ernst sei, und daß er hoffe, sie eines Tages zu sich holen zu können. Zudem hatte er ihr eröffnet, daß er eine gewisse Summe zusammengespart habe, deren eine Hälfte er ihr überlassen wolle, damit sie ungestört mit ihrer Ausbildung fortfahren könne.
Es hatte Diskussionen gegeben, lange nächtliche Gespräche und viele Tränen, doch letzten Endes hatte Elias sich nicht von seinem Entschluß abbringen lassen. Wie sich herausstellte, hatte er sein Ticket für die Überfahrt bereits gekauft, und so kam unausweichlich der Tag, an dem er es einlöste. Cendrine hatte am Hafen gestanden und dem Schiff hinterhergeschaut, und sie war sicher gewesen, Elias niemals wiederzusehen.
Ihr Abschied lag achtzehn Monate zurück. Anfangs hatte Elias ihr Briefe geschrieben, aus denen die Sorge sprach, niemals in diesem Land Fuß fassen zu können. Dann jedoch war der Kontakt schlagartig abgebrochen. Keine Briefe mehr, kein Lebenszeichen.
Cendrine hatte ihre Ausbildung mit dem Geld beendet, das Elias für sie zurückgelassen hatte, obwohl kaum Aussicht auf eine Anstellung bestand. Als sie schließlich das Gesuch der Kaskadens vorgelegt bekam, hatte sie ihr Glück kaum fassen können. Nicht nur boten diese Leute ihr einen Posten in ihrem Haushalt,
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