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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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Spalt hinter ihnen schloss. Sie schluckte, zog Eurydike an sich und umklammerte das glatte Geländer, das sich oben am Streitwagen entlangzog. Sie schloss das Mädchen vor sich in die Arme und stellte sicher, dass es nicht hinunterfiel.
    Linas Lichtkugel hielt mit ihnen Schritt, schwebte über ihrer rechten Schulter, doch sie war gar nicht mehr nötig. Fackeln flackerten in silbernen Wandleuchtern und beschienen die glatten hohen Seiten des dunklen Tunnels, durch den sie rasten.
    »Das ist ja wie die Höhle von Batman.«
    Als Hades den Kopf zu ihr umdrehte und ihr einen fragenden Blick zuwarf, wurde Lina klar, dass sie laut gesprochen hatte.
    »Ich habe mich nur gerade gefragt, ob es in dieser Höhle Fledermäuse gibt«, sagte Lina einfältig.
    »Ja, viele«, erwiderte Hades.
    Sein Umhang bauschte sich hinter ihm auf.
    »Das sind bestimmt richtig große Fledermäuse«, sagte sie trocken.
    Hades schnaubte wie seine Streitrösser. »Hast du Angst vor Fledermäusen, Göttin?«
    »Darüber habe ich noch nie nachgedacht«, sagte sie ehrlich. »Eigentlich weiß ich nicht viel darüber.«
    »Es ist normal, Angst vor etwas zu haben, das man nicht kennt«, bemerkte Hades.
    Sein Tonfall war noch immer väterlich und ein wenig herablassend, fand Lina. Sie sah ihn mit erhobener Augenbraue an. Wenn sie sich an diesen Grundsatz hielt, wäre sie nach den Geschehnissen der vergangenen vierundzwanzig Stunden starr vor Panik.
    »Ich finde es nicht normal, ich halte es für ein Zeichen von Unreife«, gab sie zurück.
    Wieder schnaubte Hades verächtlich und verärgerte Lina mit seiner Arroganz. »So was aus dem Mund einer jungen Gottheit.«
    »Reife kann man nicht immer in Jahren messen«, erwiderte sie. Auch wenn er ein schöner Fremder war und Batman ähneln mochte, er konnte sich auf jeden Fall auf eine Überraschung gefasst machen, wenn er versuchte, Lina wie ein dummes junges Ding zu behandeln.
    Hades’ einzige Reaktion war ein durchdringender Blick. Er rief seinen Pferden das nächste Kommando zu, und sie steigerten ihr Tempo abermals, so dass eine weitere Unterhaltung unmöglich wurde. Lina konzentrierte sich darauf, sich am Streitwagen festzuhalten und sicherzustellen, dass sie Eurydikes kleinen Geisterkörper in den rasanten Kurven nicht verlor.
    Gerade als sie glaubte, ihre Hände hätten sich durch das feste Umklammern des Holms in Klauen verwandelt, hob Hades seinen Zweizack. Aus den Spitzen des Speers entlud sich ein Lichtblitz, worauf sich der Tunnel öffnete und der Boden zur Decke wurde. Mit donnerndem Getöse schoss der Streitwagen aus dem frisch geschaffenen Ausgang, dann kamen sie in einem eindrucksvollen Funkenregen der Pferdehufe schlingernd zum Stehen.
    Wortlos staunend sah Lina sich um. Der erste Gedanke, der ihr kam, war, dass es nicht mehr dunkel war. Der Himmel über ihnen war hell und heiter. Obgleich keine Sonne zu sehen war, leuchtete er in einer Palette bunter Pastelltöne – von zartestem Violett über Türkis bis zu Butterblumengelb. Lina hörte den lyrischen Ruf von Singvögeln, und die Brise, die ihr Gesicht streichelte, trug einen süßen, vertrauten Geruch heran. Tief atmete Lina ein. Wo hatte sie diesen wunderbaren Duft schon mal gerochen? Sie löste den Blick von der ätherischen Schönheit des sonnenlosen Himmels, und schon war ihre Frage beantwortet.
    Zu beiden Seiten des Pfads säumten große, stattliche Bäume den Weg, in denen Lina Zypressen zu erkennen meinte, doch sie wuchsen nicht in sumpfigem Boden inmitten von Moos und Morast, sondern waren umgeben von zahllosen Blumen. Große, mondlichtfarbene Blumen, wie Lina sie nur ein einziges Mal gesehen hatte.
    »Das sind Narzissen!«, rief sie überrascht.
    Hades warf ihr einen Blick zu. »Ja, die Narzisse ist die Blume der Unterwelt.« Er atmete tief ein. »Ich werde ihres süßen Duftes nie müde.«
    Lina biss sich auf die Lippe und schwieg, doch ihre Gedanken kreisten um die Ironie, dass Demeter die Blume der Unterwelt genutzt hatte, um Linas Seele mit der von Persephone auszutauschen. Die Erntegöttin hatte also einfach nur auf ihre Anrufung reagiert? Sie hatte lediglich Linas Bäckerei unterstützen wollen, als wäre sie eine göttliche Samariterin? Demeter wollte keine Hintergedanken gehabt haben, nicht zum Beispiel … vielleicht … Lina an Persephones Stelle in die Hölle zu schicken? Verstohlen schielte sie zu dem Gott hinüber. Er schien sich nicht beherrschen zu müssen, um sich nicht auf sie zu stürzen und sie zu vergewaltigen.

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