Göttin des Frühlings
nicht von Unsterblichen besucht wird. Die Toten sind nicht an die Gegenwart anderer Götter gewöhnt«, sagte er steif.
Lina versuchte zu lächeln. Unter seinem strengen Blick hätte sie sich am liebsten voller Unbehagen gewunden.
»Das war die Idee meiner Mutter«, sagte Lina, und sofort bereute sie es. Sie klang wie eine unsichere Jugendliche. Schnell fügte sie hinzu: »Und ich fand es nett, mal woanders zu sein.«
Hades hob eine dunkle Augenbraue, genau so, wie Lina es von Batman erwarten würde.
»Demeter hat mir erzählt, dass die Unterwelt voller Magie und Schönheit ist«, wiederholte Lina wahrheitsgemäß. »Das würde ich gerne mit eigenen Augen sehen.«
»Es gibt viele Wunder in meinem Reich, die von den Unsterblichen oben unbemerkt bleiben«, sagte Hades langsam.
»Dann hast du nichts gegen meinen Besuch?«
Hades studierte sie mit seinem dunklen, undurchdringlichen Blick. Doch bevor er antworten konnte, legte der Lina nächste Hengst plötzlich die Ohren an und bleckte mit einem drohenden Kreischen die Zähne gegenüber der blassen kleinen Gestalt, die sich Lina schweigend näherte.
Mit einem erschrockenen Schrei sprang Eurydike zurück. Sofort trat Lina dem Hengst in den Weg und vereitelte damit eine Attacke des gewaltigen Tieres.
Mit den Händen in den Hüften schimpfte sie mit dem riesigen Ross. »Das war wirklich gemein von dir! Eurydike ist nur zu mir gekommen. Sie hat nichts falsch gemacht. Ich schäme mich für dich. Ihr vier habt schon die anderen Seelen verscheucht. Ich dachte, ihr würdet es besser wissen.«
Verdrossen ließ das Pferd den Kopf hängen und blinzelte Lina mit großen Augen betreten an.
Ungläubig beobachtete Hades, wie die junge Göttin seinen Hengst schalt. Was hatte sie mit dem Pferd gemacht? Hatte sie es verzaubert? Hades’ Blick ging hinüber zu den anderen drei Tieren, die alle den Kopf hängen ließen und Persephone liebevoll beäugten. Was für einen Zauber besaß die Göttin des Frühlings? Er hatte sie bei seinen unregelmäßigen Vorstößen an die Oberfläche nur wenige Male flüchtig gesehen und war zu dem Schluss gekommen, dass sie eine wunderschöne, aber frivole junge Göttin war. Er hatte so wenig über sie nachgedacht wie über den Rest der Unsterblichen. Doch die Frau vor ihm wirkte ruhig und benahm sich mit erkennbarer Reife. Und sie hatte seine Rösser verzaubert. Ungläubig schüttelte Hades den Kopf. Was war das für ein Gefühl, das sie in ihm erweckt hatte? Neugier? Es war Äonen her, dass er sich auch nur ansatzweise für ein lebendes Wesen interessiert hatte. Wie spannend … allein bei der Vorstellung, dass er die Frühlingsgöttin interessant finden könnte, hätte er am liebsten laut gelacht. Er fällte einen raschen Entschluss und zwang sich zu reden, bevor er es sich anders überlegte.
»Du bist willkommen in der Unterwelt, Persephone«, sagte er.
Überrascht blickte Lina auf. Die Stimme des Gottes hatte sich verändert, ebenso seine Miene. Er betrachtete sie mit einer solchen Intensität, dass sein Blick fast greifbar war. Seine Augen waren nicht länger distanziert und unergründlich, sie funkelten vor Neugier, wie sie fast geschworen hätte, und wenn sie nicht gewusst hätte, dass er der Gott der Unterwelt war, hätte sie darin auch so etwas wie gute Laune erkannt.
Wie Batman – der unglaublich erotische Batman –, und zwar an einem Tag, wenn der Joker ihn nicht nervte. So unglaublich männlich, dass er Macht ausstrahlte. Demeters vorausgeschickte Beschreibung von Hades hatte Lina wirklich nicht auf die tatsächliche Erscheinung des Gottes vorbereitet.
»Hm, ich danke dir, Hades. Ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen«, sagte sie leicht überwältigt.
»Dann komm! Ich zeige dir meinen Palast.« Großmütig wies Hades auf den freien Platz neben sich im Streitwagen.
Lina warf einen Blick zurück auf die schweigenden Pferde. »Zuerst bringe ich es mit denen wieder in Ordnung.«
Hades beobachtete, wie die Göttin ohne Zögern oder Zeichen von Angst zwischen die gewaltigen Hengste trat, bis sie von lebenden Pferdestärken umringt war. Eine sonderbare kleine Lichtkugel folgte ihr und brachte das glatte schwarze Fell der Tiere zum Glänzen. Es tauchte die Göttin in einen Lichtkegel, so dass ihr Gesicht klar erkennbar war und Hades sehen konnte, wie sie mädchenhaft lächelnd ein Pferd nach dem anderen streichelte. Wo war die flatterhafte, selbstverliebte Göttin des Frühlings? Diese gefasste, pferdeliebende Persephone war
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