Göttin des Frühlings
Persephone, doch Hades vermittelte ihr das Gefühl, wahrhaftig eine Göttin zu sein. Anstatt sich wieder bei ihm unterzuhaken, fuhr Lina mit den Fingern an seinem Arm entlang, um seine Hand zu ergreifen. Seine Lippen zitterten, dann verzogen sie sich zu einem erfreuten Lächeln. Hades drückte ihre Hand, und sie gingen weiter.
»Ich würde dir gerne etwas zeigen«, sagte er plötzlich. »Etwas, das mir sehr wichtig ist.«
Lina schaute ihn an, und kurz trafen sich ihre Blicke. Dann sah er beiseite, und sie merkte, wie angespannt sein Kiefer war.
»Wenn es dir wichtig ist, würde ich es sehr gerne sehen.«
Sein Gesicht wurde weicher, und er drückte erneut ihre Hand. »Es geht hier lang.«
Die erste Ebene des Parks endete, und Hades führte die Göttin die Treppe hinunter zur zweiten Terrasse. Als sie einige Stunden zuvor den Nektar gesammelt hatte, war sie wirklich nicht in der Lage gewesen, auf irgendetwas zu achten. Sie hatte nur die klebrige Flüssigkeit aus den Blumen gelockt, so dass Lina nun gerne angehalten hätte, um die Brunnen und Statuen zu bestaunen, doch der Gott beschleunigte seinen Schritt. Offenbar hatte er es eilig, an sein Ziel zu gelangen, was auch immer er ihr zeigen wollte. Neugierig geworden, passte sie sich seinem Tempo an.
Auf der dritten Ebene des Parks wählte Hades einen Pfad, der nach rechts führte. Er wand sich in engen Kurven am Rande der Terrasse entlang. Nach und nach wich die gepflegte Parkanlage großen Kiefern. Ihr würziger Geruch erinnerte Lina an Urlaub und Heimat.
»Ich liebe den Geruch von Kiefern«, sagte sie.
Statt zu antworten, legte Hades den Finger auf die Lippen. »Psst!«, machte er. »Wir möchten nicht, dass sie unsere Anwesenheit bemerken.«
Bevor Lina fragen konnte, wen er meinte, wies Hades auf mehrere große Steine.
»Wir müssen uns dahinter verstecken.«
Gespannt und völlig verwirrt ließ sich Lina von dem Gott hinter den Felsen in die Hocke ziehen.
»Was ist denn los?«, wisperte sie.
Hades reckte den Hals, um über den nächsten Felsbrocken zu spähen. Er machte ihr Zeichen, es ihm nachzutun. Lina gehorchte.
Auf der anderen Seite fiel die Landschaft steil zu einem Flussufer ab. Lina blinzelte mehrmals, um sicher zu gehen, dass ihre Augen ihr keinen Streich spielten, doch das Wasser blieb, wie es war. Es funkelte wie Diamanten im magischen Licht der nächtlichen Unterwelt. Um sie herum war es sehr still. Lina konnte den Klang des Flusses hören. Glucksend säuselte er Worte in einer fremden Sprache. Sie konnte sie nicht verstehen, doch das Gemurmel war so verlockend, dass die Göttin den plötzlichen Wunsch verspürte, hinunter zum Ufer zu stürzen und ins Wasser zu waten, um in sein helles Lachen einzutauchen.
Hades’ feste Hand umklammerte ihre Schulter. Seine Lippen streiften fast ihr Ohr, als er leise flüsterte: »Lausche nicht dem Ruf des Flusses.«
Lina konzentrierte sich auf seine Stimme, und fast augenblicklich verblasste der Lockruf des Flusses.
»Ich hätte dich warnen sollen. Der Ruf von Lethe kann sehr stark sein.« Hades’ Atem war warm, Lina lehnte sich gegen den Gott. Er setzte sich um, legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich, so dass sie halb auf seinem Schoß saß. Sie schmiegte sich an seine Brust und neigte ihm den Kopf zu, damit er ihre geflüsterten Worte hören konnte.
»Das ist Lethe, der Fluss des Vergessens?«
Lina spürte, dass er nickte, und schaute ungläubig nach unten. Dies also war der berühmte Fluss, der die Seelen dazu brachte, ihr Leben zu vergessen und sie vorbereitete, neu geboren zu werden.
»Ist es der Fluss, der dir so wichtig ist?«
»Auf gewisse Weise«, flüsterte er. »Aber es gibt noch etwas anderes.«
»Warum müssen wir so leise sein?«
»Wir möchten nicht, dass die Seelen unsere Anwesenheit bemerken. Das würde sie ablenken. Für das hier brauchen die Toten uns nicht.«
Lina wurde ganz aufgeregt und suchte das Ufer des Flusses ab. »Ich kann keine Toten sehen.«
»Pass auf und warte«, war seine einzige Antwort.
Lina lehnte sich gegen den Gott. Er schlang seine Arme eng um sie. Es war ein unglaublich schönes Gefühl, ihm so nah zu sein. Der scharfe Kiefernduft in der Luft vermischte sich mit dem berauschend männlichen Geruch von Hades. Nachdem Lina das verführerische Rufen von Lethe ausgeblendet hatte, war die Stimme des Flusses lieblich und melodisch. Sie gab sich der sinnlichen Erfahrung hin. Ihr gesamter Körper war erregt und übersensibel. Die Hand des Gottes ruhte
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