Göttin des Frühlings
worden war.
Aber wo zur Hölle war der Sultan?
Lina schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen.
»Du hast wirklich zu viel Ambrosia getrunken.«
Mit einer endgültigen Handbewegung stellte sie ihr halbleeres Glas auf den flachen Abschluss der Brüstung und steuerte zielstrebig, wenn auch ein wenig wacklig, auf die Wendeltreppe zu, die in den Palastgarten hinabführte. Sie würde einen schönen erfrischenden Spaziergang machen.
Dabei würde sie einen klaren Kopf bekommen und müde genug werden, um wieder zu wissen, dass das Bett ein Ort war, an dem man ruhig schlief, anstatt dort mit einem schönen, dunklen Gott heißen, verschwitzten Sex zu haben.
Im ambrosiageschwängerten Nebel folgte Lina dem Pfad zur obersten Terrasse des Palastgartens. Als sie den Eingang erreichte, blieb sie ganz still stehen und ließ den magischen Anblick der fackelbeleuchteten Anlagen auf sich wirken. Die Unterwelt war so ein unfassbar schöner Ort. Der Himmel war noch dunkler geworden, aber er war nicht schwarz wie der Nachthimmel in der Welt oben. Nein, er war schiefergrau und wurde von vielen funkelnden Sternen erleuchtet, jeweils umgeben von einem schimmernden Hof, der Lina an das Perlmutt einer Muschel erinnerte. Der ungewöhnliche Himmel tauchte alles in eine samtige Dunkelheit, als sei dieser Teil der Unterwelt nur ein süßer Traum.
»Diese Sterne sind das Wundervollste, was ich je gesehen habe«, sprach Lina in den schweigenden Himmel.
»Das sind die Hyaden.«
Wie aus dem Nichts nahm Hades im Schatten des Parks Gestalt an.
Lina schlug die Hand vor den Mund. Sie spürte ihr Herz pochen. »Du hast mir einen Schreck eingejagt!«
»Ich wollte dich nicht erschrecken, aber ich habe an dich gedacht, und als ich deine Stimme hörte, wollte ich nur noch bei dir sein.«
Lina biss sich auf die Unterlippe und versuchte, ihren umwölkten Kopf klar zu bekommen. Hades trug wieder diesen verdammten Umhang. Und was noch gefährlicher war: Er hatte den voluminösen Stoff, den er sonst immer um seinen Körper wickelte, gegen deutlich freizügigere Kleidung eingetauscht. Erneut hatte er sich für Schwarz entschieden, doch an diesem Abend in Form eines kurzen ledernen Brustpanzers, der ihm auf den Körper geschmiedet zu sein schien. Unten fiel er in Streifen bis auf die Hüften. Darunter trug er eine edle plissierte Tunika in der Farbe von Gewitterwolken, die seine muskulösen Beine kaum verdeckte. Lina riss ihre Augen davon los und schaute zu ihm auf. Er betrachtete sie mit einer dunklen Intensität, die ihr Blut zum Kribbeln brachte.
»Ich habe dich auch im Sinn gehabt. Ich bin froh, dass du da bist«, sagte sie und gemahnte sich zu atmen, als er sich ihr näherte.
Sein Körper war wie ein Ofen. Sie konnte die Hitze spüren, die von ihm ausging. Hades nahm Linas Hand und führte sie langsam an seine Lippen. Sie schienen ein Brandzeichen in ihre Haut drücken zu wollen. Er ließ sie nicht los. Stattdessen beschrieb er mit dem Daumen kleine Kreise auf ihrem Handrücken. Der kühle Wind trug ihr seinen Geruch zu. Er roch nach Nacht, nach Leder und Männlichkeit. Es war ein gefährlich erotischer Duft, bei dem sich ihr Magen zusammenzog. Lina musste an schweißnasse, nackte Haut denken. Unbewusst atmete sie tiefer durch und reckte sich ihm entgegen. Seine Augen blitzten, und der neckende Wind fing sich in seinem Umhang und hob ihn an wie einen Flügel.
Lina versank in seinem Blick. Sie spürte, wie sich seine Leidenschaft entzündete. Dieser Hades war nicht der kluge, sexy Gott, den sie bisher kennengelernt hatte. Er war wieder das Wesen, das sie in der Schmiede in Besitz genommen hatte. Eindrucksvoll stand er vor ihr, ein unendlich mächtiger Unsterblicher – verführerisch, anziehend, überwältigend und ein klein wenig beängstigend. Dennoch wollte sie ihn. Seine Anziehungskraft war magnetisch, doch ihre sterbliche Seele kämpfte darum, den letzten Anschein von Selbstkontrolle zu wahren. Lina zwang ihren Kopf zu denken, suchte nach etwas, irgendetwas, das sie zu ihm sagen konnte.
»Du sagst, die Sterne seien Hyaden. Das verstehe ich nicht«, brachte sie schließlich hervor.
Hades löste den Blick von ihr, um in den Nachthimmel zu schauen.
»Du verstehst das nicht, weil du sie nur als strahlende Nymphen kennst, wie sie in der Welt oben sind. Die meisten Unsterblichen wissen nicht, dass eine Gruppe von Waldhyaden ihrer irdischen Pflichten müde wurde. Sie flehten Zeus an, ihnen die Sterblichkeit zu schenken, damit sie sterben
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