Göttin des Lichts
Theseus. Groß, stark, fast so schön wie ein Gott. Eddies Körper erinnert mich nicht an meinen Hippolytus, die Ähnlichkeit liegt in seiner Hingabe.«
»Du sprichst von Hippolytus in der Vergangenheit. Ist er tot?«
»Ja«, antwortete Artemis knapp. »Wegen seiner Zuneigung zu mir wurde er versehentlich getötet. Ich war die einzige Frau, die er jemals lieben konnte.«
»Das tut mir leid«, sagte Pamela.
Artemis begegnete ihrem Blick und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie in den Augen der Sterblichen Verständnis entdeckte. »Du hast auch eine Liebe verloren.«
»Er ist nicht körperlich gestorben. Aber ich habe herausgefunden, dass der Mann, an den ich glaubte, nicht wirklich existiert hat.«
Artemis nickte nachdenklich. »In gewisser Weise ist das noch schwerer zu ertragen. Ich kann Hippolytus wenigstens nicht mehr begegnen. Es wäre schrecklich, ihn zu sehen und zu wissen, dass er nur die Hülle dessen ist, für den ich ihn gehalten habe.«
»Ich glaube, du verstehst mich vollkommen«, stellte Pamela fest.
»Ja.« Artemis lächelte traurig. Dann drehte sie sich um und schaute in den Spiegel. Sofort wurde ihr Lächeln stärker, und sie strahlte sogar vor Freude. »Du hast ein Wunder vollbracht!«
Pamela lachte. »Absolut. Es nennt sich Concealer, Puder und ein kleines bisschen Rouge. Die Wunderwaffen der modernen Frau.«
»Danke, Pamela«, sagte Artemis ernst.
»Sehr gern geschehen, Artemis.« Pamela sah auf ihr eigenes noch ziemlich ramponiertes Spiegelbild. »Jetzt muss ich leider noch ein ähnliches Wunder an mir selbst vollbringen. Und mich dabei auch noch beeilen.«
Artemis rutschte von der Kommode. »Ich werde Eddie mitteilen, dass ich dich aufgehalten habe. Wahrscheinlich stört es ihn nicht, wenn wir ein bisschen Zeit für uns alleine haben.«
»Artemis«, rief Pamela. Die Hand schon auf dem Türknauf, wandte die Göttin sich um. »Darf ich dich noch was fragen? Selbst wenn es ein bisschen persönlich ist?«
Die Göttin zuckte die Achseln. »Für dein Wunder hast du eine Gefälligkeit verdient. Da ich keine Kräfte zur Verfügung habe, mit denen ich dir danken könnte, beantworte ich dir gerne eine Frage.«
»Ich gebe zu, dass ich von Mythologie nicht viel verstehe. Aber soweit ich mich erinnere, habe ich immer über dich – also über Artemis – gelesen, dass du eine jungfräuliche Göttin bist, unberührt von einem Mann oder einem Gott. Inzwischen frage ich mich aber, ob das so stimmt.«
Einen Moment sah Artemis sie schockiert an, dann verwundert, und schließlich begann sie zu lachen.
»Also, ich wollte eigentlich keinen Witz machen«, stammelte Pamela, der die Reaktion der Göttin ein wenig peinlich war.
»Ich lache nicht über dich, sondern darüber, was die Menschen sich für Geschichten erzählen. Sie haben mir den Stempel ›jungfräuliche Göttin‹ aufgedrückt, weil ich mich geweigert habe, mich an einen Partner zu binden. Ich nehme mir Liebe, wo immer ich will, und ich entscheide, bei wem, wo und wann. Meine Freiheit verschafft mir Genuss, mein liebster Geliebter ist der Wald, meine ältesten Freundinnen sind meine Dienerinnen, die Nymphen. Aber ich kann dir versichern, dass ich keine Jungfrau bin.« Damit verließ sie das Zimmer, und ihr wohlklingendes Lachen flatterte ihr nach.
26
Erstaunt musste Pamela feststellen, dass Apollo ihr aus dem Weg ging. Und es wunderte sie auch, wie viel ihr das ausmachte. Zwar ertappte sie ihn immer noch des Öfteren dabei, wie er sie verstohlen anschaute, aber sobald sie versuchte, seinem Blick zu begegnen, wandte er seine Aufmerksamkeit sofort irgendeinem Handwerker zu, der sich gerade in seiner Nähe befand. Sogar in der Lunchpause mied er sie. So saß sie bei Eddie und Artemis und schaute ihnen beim Flirten zu, während sie eines der exzellenten Sandwiches verspeiste, die Eddies genialer Koch für alle zubereitete. Apollo holte sich nur schnell ein Sandwich, warf ihr ein kurzes, unkonzentriertes Lächeln zu und gesellte sich dann wieder zu dem Architekten an die Baugrube, wo die Arbeiter bereits angefangen hatten, das Fundament des Badehauses auszuheben.
Nicht, dass sie selbst nichts zu tun gehabt hätte. Heute wurde der Bodenbelag ausgewählt, und wie sich herausstellte, war das keinesfalls einfach. Zuerst hatte Eddie mit einer schauderhaften Reproduktion des imitierten Steinbodens geliebäugelt, der im Forum so überreichlich zu bewundern war. Glücklicherweise schüttelte Artemis, die majestätisch auf ihrem Podest
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