Göttin des Lichts
und ihre prächtigen Mähnen schüttelten, als wären sie mit ihnen geboren worden.
Nun erwachten nacheinander auch die anderen scheußlichen Statuen zum Leben, die offenbar Apollo und Artemis darstellen sollten. Doch die Abendvorstellung schien sich auf die tanzenden Nymphen zu konzentrieren, die zugegebenermaßen unterhaltsamer waren als die in schlechten Reimen dröhnenden animierten Figuren. Auf einmal merkte Pamela sogar, dass sie mit dem Fuß im Takt des pulsierenden Tanzrhythmus’ wippte. Echt keine schlechte Show, dachte sie, während sie sich Wein nachschenkte.
»Ihr, die ihr die alten Wege sucht, stellt euch vor,
Dass die Unsterblichen zurückkehren
Und mit ihnen eure Urahnen,
Die einst die alten Götter verehrten,
Die Feld und Wald, Wind und Wasser, Erde und Luft segneten.
Heute Abend beschwören wir die alte Zeit – die längst vergangenen Tage.«
Als die tanzenden Mädchen zu singen begannen, war Pamela angenehm überrascht. Ihre Texte waren bei weitem besser als der Unsinn, den die mechanisierten Statuen von sich gaben. Und ihre Stimmen! Einfach unglaublich. Fasziniert lauschte Pamela dem Lied, das eine längst vergangene Zeit heraufbeschwor, eine Zeit, in der die Menschen glaubten, dass Götter und Göttinnen leibhaftig unter ihnen umherwanderten und ihnen alle Wünsche erfüllten. Obwohl Pamela dieser Umgebung inzwischen einen gewissen Zynismus entgegenbrachte, nahm die Vorstellung sie gefangen, und zwar so intensiv, dass sie am liebsten aufgestanden wäre und sich dem hypnotischen Tanz angeschlossen hätte.
Das ist doch lächerlich, dachte sie mit einem beschwipsten Kichern, das sich rasch in ein Schnauben verwandelte. Vor allem auf den Neun-Zentimeter-Absätzen der Jimmy-Choo-Stilettos! Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund war sie überhaupt nicht schockiert darüber, dass sie mit den Nymphen tanzen wollte. Wahrscheinlich der Wein, dachte sie und beäugte die halb leere Karaffe.
Pamela blinzelte, als das Tempo des Tanzes sich steigerte. Das Schimmern, das die Nymphen umgab, schien ihren Blick zu vernebeln, so sehr, dass sie, als sie nach ihrem Weinglas griff, die Distanz völlig falsch einschätzte und es umstieß. Wie in Zeitlupe sah sie den Kristallfuß kippen und auf dem Marmortisch zerschellen, während der Wein in einem Schauer roter Tropfen über den Boden spritzte. So schnell sie konnte, schnappte sie sich ihre Leinenserviette und versuchte, die sich rasch ausbreitende Pfütze aufzusaugen. Zum Glück war das Glas wenigstens in die andere Richtung gestürzt – von ihr weg –, sonst hätte ihr schickes Kleid den Chianti abbekommen. Aber es war trotzdem eine Mordssauerei, die sie da veranstaltet hatte. Gerade als sie beschlossen hatte, dem Kellner ein extra großzügiges Trinkgeld zu geben, wischte sie wohl etwas zu schwungvoll, und im Nu bohrte sich eine Glasscherbe in die Kuppe ihres Zeigefingers.
»Autsch!« Ein scharfer Schmerz fuhr ihr durch den Finger, und sie schüttelte die Hand. »Verdammte Scheiße!« Wie konnte denn so ein winziger Schnitt so ein Blutbad anrichten? Als sie sah, wie sich ihr Blut mit dem Chianti vermischte, wurde ihr ganz flau im Magen.
Verzweifelt presste sie die bereits völlig durchweichte Serviette an den Finger, aber nicht einmal das Brennen der frischen Verletzung konnte sie vom Ende der großartigen Vorführung der Nymphen ablenken. Sie waren so anmutig, und ihre weichen, süßen Stimmen riefen Gefühle in Pamela wach, die sie normalerweise sorgsam unterdrückte … ein Verlangen regte sich in ihr … der Wunsch nach etwas, was sie nicht genau benennen konnte – oder wollte …
»Unsterbliche Hilfe wird verpflichtet,
Von Herzen gewünscht und auf sie gerichtet.
Zweifelt nicht länger, lasst der Seele Raum,
Denn die Wahrheit der Liebe, sie ist kein Traum.
Auf dass Wünsche des Herzens, groß oder klein,
sich mögen dir zeigen – so soll es sein!«
Wünsche des Herzens. Nun ja, sie wünschte, sie hätte den Wein nicht verschüttet und sich auch nicht in den Finger geschnitten. Aber im gleichen Moment, als sie diesen Gedanken im Kopf formulierte, spürte sie, dass er falsch war. Nach diesem wundervollen Tanz etwas so Banales zu wünschen, kam ihr geradezu blasphemisch vor. Als sie ihr Handtäschchen öffnete und nach einem Papiertaschentuch suchte, um ihren Finger zu verbinden, wurde sie plötzlich furchtbar traurig darüber, dass ihr Herzenswunsch nichts Bedeutsameres war, als ein kleines Missgeschick zu beheben. Ganz bestimmt
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