Göttin des Lichts
eine Kostprobe seiner wahren Macht gezeigt. Er wollte ihnen die Herrlichkeit eines lebendigen, atmenden Gottes offenbaren und denen, die es am meisten verdienten, ihre Herzenswünsche erfüllen – obgleich er wusste, dass dies ein unmögliches Hirngespinst war. Schließlich hatte Zeus ihnen ja strikt untersagt, sich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen, und Apollo musste zugeben, dass er ausnahmsweise einmal der gleichen Meinung war wie sein Vater. Moderne Sterbliche waren ohne die Intervention uralter, vergessener Götter besser dran. Doch während das Ritual der Nymphen ihn magisch umwogte, machte ihn der Gedanke, dass diese Sterblichen nicht mehr zum Olymp aufblickten, auf einmal seltsam traurig. Kraft und Enttäuschung erhitzten ihn zu gleichen Teilen, als das Ritual seinen Höhepunkt erreichte.
»Unsterbliche Hilfe wird verpflichtet,
Von Herzen gewünscht und auf sie gerichtet.
Zweifelt nicht länger, lasst der Seele Raum,
Denn die Wahrheit der Liebe, sie ist kein Traum.
Auf dass Wünsche des Herzens, groß oder klein,
sich mögen dir zeigen – so soll es sein!«
Als die letzten Worte der Beschwörung ausgesprochen waren, fühlten Apollo und Artemis plötzlich einen unerklärlichen Ruck in sich, als hätte sich eine Fessel um ihre Seelen gelegt, ein Band, das sich immer fester zusammenzog. Fast gleichzeitig wandten Bruder und Schwester den Kopf einem kleinen, im italienischen Stil gehaltenen Weinlokal zu, auf dessen Terrasse eine zierliche junge Frau ganz allein an einem runden Tischchen saß. In genau diesem Augenblick stieß sie ihr langstieliges Weinglas um, das feine Kristall zersplitterte in tausend Scherben, und der Rotwein spritzte durch die Luft, wo die reichlich vorhandene schwebende Energie ihn auffing und magisch in einem perfekten blutroten Kreis um sie herum verteilte. Hastig machte die Sterbliche sich daran, die Weinpfütze mit ihrer Leinenserviette aufzuwischen. Aber ihr Finger blieb an einer Glasscherbe hängen, die mit einem glatten Schnitt in ihre weiche Haut eindrang. Die Frau stieß einen leisen Schreckensschrei aus.
»Nein!« Artemis schnappte nach Luft, als sich das Blut der Sterblichen mit dem italienischen Wein vermischte.
»Sie kann doch nicht …«, begann Apollo, aber sein bestürzter Ausruf wurde unterbrochen, als die Frau den Mund aufmachte und die Worte aussprach, die ihrer aller Leben für immer verändern sollten.
5
Pamela spürte den Wein. Sie hickste leise und unterdrückte ein Kichern.
»Hey, schließlich bin ich in Sin City. Warum nicht?«, sprach sie ihren etwas schwummrigen Gedanken laut aus.
»Sind Sie sicher, Schätzchen?«, rief der Mann vom Nebentisch und grinste anzüglich.
Nachdenklich blickte Pamela von seinen blendend weißen Zähnen zu den dunkel gefärbten Haaren und hinunter zu der blitzenden dicken Goldkette, die sich in das dichte schwarze Haarbüschel direkt unter seinem Hals schmiegte. Jetzt zwinkerte der Mann ihr zu, und auch seine beiden Kumpels glotzten begehrlich. Pamela verzog das Gesicht und setzte sich anders hin, so dass sie den Männern den Rücken zuwandte. Dann schlug sie das fliederfarbene Hochglanzcover der alljährlichen Sonderausgabe von
California Home & Design
auf, die sie sich gerade am Kiosk gekauft hatte, und vergrub die Nase in einem Artikel über die Firma EuroStone und deren hervorragendes Sortiment an seltenem Gestein, sei es Granit, Marmor, Quarzit oder französischer Kalkstein.
Also bitte. So angeheitert war sie nun auch wieder nicht. Eigentlich konnte sie überhaupt nicht so angeheitert sein.
Als der Kellner mit einem Glas billigem Chardonnay erschien, den »der Gentleman vom Nachbartisch« geschickt hatte, überraschte sie das nicht wirklich. Sie seufzte tief.
»Danke, aber bitte schicken Sie den Wein zurück«, sagte sie und fühlte sich auf einmal wesentlich nüchterner. »Ich nehme keine Getränke von Männern an, die ich nicht kenne.«
Der Kellner machte ein überraschtes Gesicht, was Pamela ärgerte. Sicher, sie kannte sich in der Dating-Szene nicht mehr aus, denn sie hatte ewig keine Verabredung mehr gehabt, genau genommen seit … im Kopf überschlug sie schnell die genaue Anzahl der Jahre und weigerte sich damit anzuerkennen, wie viel Lebenszeit sie auf Duane verschwendet hatte. Hatten sich die Dating-Gewohnheiten seither wirklich so verändert? Gott, sie fühlte sich richtig alt.
»Was darf ich Ihnen denn dann bringen, Ma’am?«, fragte der Kellner.
Er hatte sie Ma’am genannt! Kein
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