Göttin des Lichts
Zweifel – anscheinend sah sie genauso alt aus, wie sie sich fühlte. Ihr Blick wanderte noch einmal über die lange, schmale Speisekarte. Auf der einen Seite gab es eine exzellente Auswahl von Weinen, auf der anderen diverse Häppchen. Obwohl sie in dem italienischen Restaurant neben dem anderen Brunnen einen großen Salat gegessen und dazu eine halbe Flasche Wein getrunken hatte, brauchte sie nach dem langen, deprimierenden Rundgang durch das Einkaufszentrum dringend etwas zu knabbern und zu trinken. Vor allem etwas zu trinken. Ihr Blick fiel auf eine Vorspeise, die aus einer Auswahl von Oliven, verschiedenen Käsesorten und frischem Brot bestand.
Warum nicht
?, dachte sie. Sie war alt, also konnte sie auch dick und glücklich sein.
»Ich hätte gerne die Vorspeisenplatte mit Oliven und Käse und eine Flasche …«
Sie hielt inne und studierte die italienischen Rotweine unter der Überschrift „Chianti Classico“. Ihre Augen funkelten, als sie den 97 er Castello du Fonterutoli Riserva entdeckte. In der letzten Ausgabe des
Wine Spectator’s Magazine
war sie auf einen phantastischen Artikel über italienische Weine gestoßen, und sie war sicher, dass sie diesen Namen wiedererkannte.
»… und eine Flasche des 97 er Castello di Fonterutoli Riserva Chianti Classico.«
»Eine sehr gute Wahl, Ma’am. Aus der Toskana. Der Winzer brüstet sich immer damit, dass in alten Zeiten angeblich die Götter persönlich durch seine Weinberge gestreift sind.«
»Na klar«, murmelte Pamela vor sich hin, als er sich zum Gehen gewandt hatte. »Hier bin ich in einer billigen Nachahmung des antiken Rom gelandet und betrinke mich mit dem Wein eines verrückten Winzers.«
Wieder seufzte sie tief. Zu Beginn des Abends war sie voller guter Absichten gewesen. Nach dem aufmunternden Gespräch mit V hatte sie lange geduscht und ihre kurzen Haare mit dem Handtuch zu einem sexy-chaotischen Wuschelkopf trockengerubbelt. Als Outfit hatte sie sich für das kleine Schwarze entschieden, dass sie im Schlussverkauf bei Saks in Denver praktisch geschenkt bekommen hatte und das ein paar Zentimeter über dem Knie in einer weichen, femininen Rüsche endete. Ergänzt hatte sie dieses erfolgversprechende Ensemble mit zarten Onyx-Ohrgehängen und einer glitzernden Handtasche – sehr klein und lachhaft teuer – und dem Glanzstück, nämlich einem Paar hinreißender Jimmy-Choo-Seidenstilettos mit in leuchtenden Retro-Farben aufgestickten Schmetterlingen und Herzen.
Bevor sie aufgebrochen war, hatte sie ihr Aussehen in dem großen vergoldeten Spiegel überprüft. Sie sah gut aus. Sehr gut sogar. Das schwarze Kleid schmiegte sich an ihren zierlichen Körper, und die Stilettos verliehen ihren eins fünfundfünfzig nicht nur ein paar dringend erforderliche zusätzliche Zentimeter, sondern ließen auch ihre Waden gleichzeitig besonders lang und schlank aussehen.
Ja, sie war zum Flirten bereit und gewillt gewesen.
Bis sie am Eingang zum Casino Halt gemacht und einen nett aussehenden Mann in der typisch romanischen Casino-Uniform gefragt hatte, wo sie das Eintrittsgeld bezahlen musste. Der Mann hatte fürchterlich gelacht.
»Lady, Sie sehen das vollkommen falsch«, hatte er geantwortet, als er sich einigermaßen erholt hatte. »Casinos legen Wert darauf, dass die Leute reinkommen. Je mehr Leute, desto mehr Geld wird ausgegeben.«
Immer noch lachend und kopfschüttelnd war er dann weggegangen. Aber Pamelas Abend war keineswegs besser geworden. Zwar hatte das Essen gut geschmeckt, aber die Szenerie ging ihr zunehmend auf die Nerven. Sie hatte V gesagt, dass sie ihren Job aus einer anderen Perspektive betrachten würde – von geschmackvoll zu phantasievoll –, aber je mehr sie von diesem Forum sah, desto aussichtsloser erschien ihr Vorhaben. Es war alles so unglaublich geschmacklos, unelegant, billig und kitschig.
Nein, korrigierte sie sich, nicht unbedingt billig. Ihr Blick wanderte wieder zu dem gigantischen Brunnen mit den grotesk animierten Abbildern von Bacchus, Cäsar, Apollo und Artemis. Garantiert hatte der eine ganze Stange Geld gekostet, und garantiert würde auch die lächerliche Reproduktion, die Eddie sich für seine Villa wünschte, teuer werden.
Jetzt brachte der Kellner ihre Vorspeisenplatte und eine Kristallkaraffe mit blutrotem Wein. Pamela atmete das volle Chianti-Aroma ein, das ihr automatisch Marilyns Pizza House in Erinnerung rief, ihre Lieblingspizzeria in Manitou Springs, nur einen Katzensprung von ihrem Design-Studio
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