Göttin des Lichts
verstehen. Sie hatte gedacht, ihr Bruder würde die Sterbliche attraktiv finden, aber anscheinend hatte sich das geändert. »Nun«, antwortete sie bedächtig, »das ist eigentlich Bacchus’ Schuld. Er muss das einfach wieder in Ordnung bringen. Vielleicht kann er einen von seinen Weinen benutzen, um sie in einen Zustand des Begehrens zu versetzen. Schließlich ist er ein Gott, vermutlich hat er schon andere sterbliche Frauen verführt – ganz egal, wie abstoßend diese Vorstellung auch sein mag.«
»
Nein!
«, explodierte Apollo. »Diese Kröte wird sie nicht anfassen!«
Verwirrt zog Artemis ihre Stirn kraus. »Apollo, drück dich klarer aus! Erst sagst du, dass du die Sterbliche nicht begehrst, und im nächsten Moment willst du sie gegen einen anderen Gott verteidigen, als wärst du Paris, dieser Trottel, und sie deine Helena.«
»Ich habe nur gesagt, dass ich nicht heute Nacht mit ihr schlafen möchte, und keineswegs, dass ich sie nicht begehre. Sie hat sich verletzt«, berichtete er weiter. »Natürlich habe ich sie geheilt, ohne ihr Wissen, versteht sich«, fügte er hastig hinzu, bevor Artemis etwas sagen konnte. »Aber danach mit ihr ins Bett zu steigen wäre unehrenhaft gewesen.«
Artemis’ scharfer Blick sah das versteckte Unbehagen im Gesicht ihres Bruders. Er sagte nicht die ganze Wahrheit – nicht ihr und vielleicht auch nicht einmal sich selbst. Wie dem auch sein mochte, konnte sie an der eigensinnigen Haltung seines Kinns erkennen, dass er mehr nicht sagen würde.
»Morgen?«
Apollo nickte fest. »Morgen.«
»Gut. Dann ziehen wir uns jetzt auf den Olymp zurück. Ich habe genug von der Welt der Sterblichen.«
Apollo öffnete die Tür des Wandschranks und winkte Artemis, durch das schimmernde, muschelfarbene Portal voranzugehen. Er kehrte in die Götterwelt zurück, aber er hatte nicht vor, sich auf den Olymp zurückzuziehen. Stattdessen wünschte er seiner Schwester eine gute Nacht und begab sich dann an den einzigen Ort, an dem er sicher sein konnte, Hilfe zu finden.
11
Es war für Apollo ebenso überraschend gewesen wie für den Rest der Olympier, dass die Göttin, die Hades’ angeblich so kaltes Herz gewonnen hatte, in Wirklichkeit gar keine Göttin war, und dass Demeter einen Seelenwechsel zwischen ihrer Tochter Persephone und der Seele von Carolina Francesca Santoro – einer Sterblichen aus der modernen Welt – veranlasst hatte. Demeter hatte ihre allzu unbekümmerte Tochter etwas bändigen wollen, und der Tausch war eine exzellente Gelegenheit gewesen, an der Persephone reifen konnte. Außerdem hatte das Arrangement den positiven Nebeneffekt, dass die deutlich erwachsenere Menschenfrau ihre beruhigende weibliche Präsenz in die Unterwelt einbringen würde. Für den Herrn der Unterwelt war es natürlich eine vollkommen unerwartete Erfahrung gewesen, sich hoffnungslos in eine als Göttin maskierte Sterbliche zu verlieben.
Obwohl es, als Apollo Carolina – oder Lina, wie Hades sie liebevoll nannte – kennengelernt hatte, nicht lange dauerte, bis er verstand, warum der Gott der Unterwelt so hingerissen von ihr war. Sie war klug und erfüllt von einem Überschwang, der wie ein inneres Licht aus ihr strahlte.
Apollo hatte Linas Lachen immer sehr anziehend gefunden, und jetzt verstand er endlich, warum: Es trug in sich den Klang ihrer sterblichen Seele, selbst jetzt, da sie im Körper der Göttin Persephone lebte. Und in dieser sterblichen Seele hörte er das Echo von Pamelas erdverbundener Freude.
»Dann hat diese sterbliche Frau dich also schon in die Hölle getrieben!«
»Carolina, quäl ihn doch nicht.« Hades lächelte seine Seelenverwandte liebevoll an.
»Da zeigst du wieder mal deine sensible Seite, Liebster«, gab Lina in dem neckenden Ton zurück, den nur sie mit dem Gott der Unterwelt anschlagen durfte.
Hades schnaubte. »Es liegt nicht daran, dass ich sensibel bin, ich verstehe nur sehr gut, welches Chaos eine moderne sterbliche Frau im Leben eines Gottes anrichten kann.«
Lina ignorierte demonstrativ die Worte ihres Ehemanns und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Apollo zu. Der goldene Gott hatte die nassen Sachen abgelegt, in denen er angekommen war, und war jetzt in einen von Hades’ Bademänteln gehüllt. Carolina und Hades faulenzten in ihrem gemütlichen Wohnzimmer und schlürften Ambrosia. Apollo besuchte die beiden oft, seit allgemein bekannt war, dass eine Sterbliche Königin der Unterwelt geworden war, und die drei waren inzwischen gute Freunde.
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