Goettin in Gummistiefeln
mich ganz lest. »Ich bin sehr stolz auf dich.«
»Und das ist kein Lebewohl.« Ich wische mir die Augen mit einem Taschentuch ab. Hoffentlich ist jetzt nicht das Make-up verwischt. »Ich bin bald wieder da. Und ich komme euch besuchen, so oft ich kann ... an den Wochenenden ...«
»Hier, lass mich.« Sie nimmt mir das Taschentuch aus der Hand und tupft mir die Augen ab.
»Danke.« Ich lächle zittrig. »Das muss den ganzen Tag halten.«
»Samantha?« Hilary ruft mich vom Erfrischungsstand, wo sie mit David Elldridge und Greg Parker redet. »Könnten Sie bitte mal herkommen?«
»Gleich!«, rufe ich.
»Samantha, bevor du gehst ...« Iris ergreift mich bei beiden Händen. Sie sieht besorgt aus. »Schätzchen, ich bin sicher, du weißt selbst, was am besten für dich ist. Aber vergiss eines nicht: Du bist nur einmal jung.« Sie schaut meine Hand an, so glatt neben der ihren. »Diese kostbaren Jahre erlebt man nur einmal.«
»Ich werde dran denken.« Ich beiße mir auf die Lippe. »Ich verspreche es dir.«
»Gut.« Sie tätschelt meine Hand. »Dann geh jetzt.«
Wir gehen Hand in Hand zum Erfrischungsstand, Nathaniel und ich. In wenigen Stunden werden wir uns voneinander verabschieden müssen.
Nein, ich darf jetzt nicht daran denken.
Hilary sieht ein bisschen gestresst aus.
»Haben Sie die Rede?«, fragt sie. »Wie fühlen Sie sich? Alles bereit?«
»Alles bereit.« Ich hole das zusammengefaltete Blatt heraus. »Hilary, das ist Nathaniel.«
Hilary mustert ihn ohne großes Interesse. »Hallo«, sagt sie. »Also, Samantha, lassen Sie es uns noch mal durchgehen. Sie verlesen Ihr Statement, dann die Fragen, dann Fotos. In drei Minuten geht‘s los. Das Team verteilt gerade die Presseinfos ...« Sie beugt sich plötzlich vor und schaut mich genauer an. »Was ist denn mit Ihnen passiert?«
»Ahm ... hab mich nur von jemandem verabschiedet«, sage ich entschuldigend. »Ist nicht zu schlimm, oder?«
»Das muss ganz neu gemacht werden.« Ihre Stimme zittert vor Empörung. »Auch das noch. Das hat mir gerade noch gefehlt.« Sie stakst davon und ruft wild nach ihren Assistenten.
Noch drei Minuten. Drei Minuten, bis mein altes Leben wieder anfängt.
»Also ... bis zu Eamonns Party bin ich wieder zurück«, sage ich, Nathaniels Hand immer noch festhaltend. »Ich nehme Freitagabend den Zug und verbringe dann das Wochenende ...«
»Nicht nächstes Wochenende«, mischt sich Guy ein, der sich gerade Kakaopulver auf seinen Cappuccino streut. Er blickt auf. »Da bist du in Hongkong.«
»Was?«, frage ich blöde.
»Die von Samatron sind ganz aus dem Häuschen, dass du wieder an Bord bist, und haben für diese Fusion ausdrücklich nach dir verlangt. Wir fliegen morgen nach Hongkong. Hat‘s dir noch keiner gesagt?«
»Nein.« Ich starre ihn geschockt an. »Nein, keinen Pieps.«
Guy zuckt die Achseln. »Ich dachte, du wüsstest es. Fünf Tage Hongkong, dann weiter nach Singapur. Du und ich, wir sollen ein paar neue Klienten an Land ziehen.« Er nimmt einen Schluck Kaffee. »Wird Zeit, dass du was tust für dein Geld, Samantha Sweeting, Sozius. Kannst dich nicht auf deinen Lorbeeren ausruhen.«
Ich habe noch nicht mal angefangen und er redet schon davon, dass ich mich auf meinen Lorbeeren ausruhe?
»Und wann sind wir wieder da?«
Guy zuckt mit den Schultern. »Ein, zwei Wochen?«
»Samantha!« Elldridge taucht auf. »Hat Guy schon erwähnt, dass wir Sie bei einem Firmenshooting an einem Wochenende im September dabei haben wollen? Oben in Schottland. Dürfte ganz lustig werden.«
»Ja, äh, klingt großartig.« Ich reibe mir die Nase. »Das einzige Problem ist, ich wollte mir eigentlich ein paar Wochenenden freihalten ... bisschen mehr Ausgewogenheit in mein Leben bringen ...«
Elldridge guckt verständnislos. »Aber Sie hatten doch Ihre Pause, Samantha«, sagt er gutmütig. »Jetzt heißt‘s wieder zurück an die Arbeit! Und ich muss mich noch mit Ihnen wegen New York unterhalten.« Er klopft mir auf die Schulter und wendet sich dann wieder zum Erfrischungsstand um. »Noch einen Espresso, bitte.«
»Realistisch gesehen würde ich sagen, dass du erst Weihnachten wieder ein freies Wochenende haben wirst«, bemerkt Guy. »Ich hab dich gewarnt.« Er hebt vielsagend die Augenbrauen und geht dann, um mit Hilary zu reden.
Stille. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Alles geht so schnell. Ich dachte, diesmal würde es anders werden. Diesmal hätte ich mehr Einfluss auf die Terminplanung.
»Weihnachten«, wiederholt
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