Goettin meines Herzens
inzwischen die Oberhand über ihren Verstand und ihre Gefühle gewonnen.
„Madam?“, erwiderte er kühl. Ohne Entschuldigung wanderte sein Blick forschend über ihr Gesicht und ihre Figur, als wäre sie ein weiterer Happen seiner Mittagsmahlzeit und er sich nicht sicher, ob er sie nun verschlingen sollte oder nicht.
Miranda unterdrückte einen Schauder, der Abscheu hätte sein sollen, der dem aber in nichts gleichkam, und sagte sich, dass sie mit allem Recht der Welt verlangen konnte, vom neuen Oberhaupt der Familie besser behandelt zu werden. Sie musterte ihn ihrerseits aufmerksam, befand es danach indes als wenig vielversprechend, ihn durch einen Hinweis auf seine mangelnden Manieren zu beschämen, damit er sich ihr gegenüber höflicher zeigte. Schenkte man der Mischung aus Verlangen und Wut in seinen dunklen Augen Glauben, hegte er wohl kaum die Absicht, den großzügigen Gastgeber für sie zu spielen. Besser, sie machte sich schon einmal auf eine recht unbehagliche Woche gefasst.
„Wir wurden einander noch nicht vorgestellt“, sagte sie, während sie, ungewohnt verwirrt, ungewollt einen Schritt zurückwich.
Offenbar ungehalten über diese Belanglosigkeit, furchte er die Stirn. Als der neue Earl war er zugleich Vormund ihrer jüngeren Schwestern und hatte daher natürlich allen Grund, ihr mit Argwohn zu begegnen. Durch Klatsch und Tratsch wusste er gewiss bereits viel zu viel über den ungebärdigen Sturmvogel, der gekommen war, um das Familiennest zu beschmutzen, sodass sie sich in seiner Gegenwart kaum wohlfühlen konnte. Womöglich ist es sogar seine Pflicht, über meinen Besuch nicht erfreut zu sein, nahm sie an. Schließlich hatte ihr Großvater sich geweigert, sie zu empfangen, obwohl er seine Enkelin einst sehr liebte.
„Da Sie keine Anstalten machen, sich vorzustellen, nehme ich an, Sie sind der siebte Earl of Carnwood?“, sagte Miranda in ruhigem Ton, während sie einander gegenüberstanden und sich wie Gegner vor einer Schlacht abmaßen.
„In der Tat, und es ist immer ein Vergnügen, über eine solch schöne Verwandte zu verfügen, Mrs. Braxton“, antwortete er mit zynischem Grinsen.
„Tatsächlich? Welch Freude einen solchen Schmeichler in der Familie willkommen heißen zu können, Mylord“, erwiderte sie, entschlossen in keiner Hinsicht über sich „verfügen“ zu lassen.
Mittlerweile sollte sie sich an die anstößigen Ansichten gewöhnt haben, die sogenannte Gentlemen über ihre Moraleinstellung zu haben schienen. Dennoch stellte seine Unfähigkeit, hinter ihre äußere Fassade blicken zu können, seltsamerweise einen größeren Verrat für sie dar als alle anderen zusammengenommen. Ein wahrlich absurdes Gefühl. Immerhin hatte sie ihn soeben erst kennengelernt, und wenn ihr das Glück hold war, würde sie ihm nach dieser Woche niemals wieder begegnen. Ihm und ihres zwielichtigen Rufs zum Trotz straffte sie die Schultern, hob das Kinn und schaute ihm direkt in die unverschämt und zornig blickenden Augen, um seinen dummen Vorurteilen die Stirn zu bieten.
„Ich nehme mir die Freiheit, unter gegebenen Umständen die Wahrheit zu sagen, Madam“, teilte er ihr derweil glattzüngig mit. Der spöttische Funke in seinen dunklen Augen sagte ihr, dass er glaubte, sie würde Ehrlichkeit nicht einmal dann erkennen, wenn man sie mit der Nase darauf stieß.
In der Absicht, jedwedes Urteil, das er über sie aus verächtlichem Gerede geformt haben mochte, auf ihn zurückfallen zu lassen, verzog sie die Lippen zu einem leicht höhnischen Lächeln und bedachte ihn mit einem ihrer besten vernichtenden Blicke, von denen sie sich in den letzten Jahren ein wahres Repertoire angeeignet hatte. Böse Zungen verfolgten sie bis in das abgelegene walisische Tal, in dem ihre Patin lebte. Deren unbarmherziges Geschwätz hatte weit zu viele augenscheinliche Gentlemen dazu veranlasst, ihr Glück bei einer Frau mit solch befleckter Vergangenheit zu versuchen. Diese Herren in unmissverständlicher Weise bestimmt zurückzuweisen indes war ein Kinderspiel gewesen, verglichen damit, diesen Wolf im Wolfspelz mit Blicken zum Schweigen zu bringen.
„Sie müssen eine wahre Armee von Feinden haben, Lord Carnwood“, parierte sie in ruhigem Ton. „Nur wenige Menschen erfreut es, die ungeschminkte Wahrheit über sich selbst zu hören. Schließlich geraten wir doch alle einmal auf Abwege. Aber bitte verraten Sie mir doch, woran Sie erkennen, ob man Ihnen die Wahrheit oder eine Lüge erzählt?“, fuhr sie mit
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