Gohar der Bettler
bestickt war; sie war sehr stark geschminkt und trug goldene Armreifen. Lange braune Haare umrahmten ihr Gesicht, das von einer fremdartigen und ursprünglichen Schönheit war und den volkstümlichen Gesichtern auf den Wandmalereien in den Cafes der Einheimischen ähnelte. Ihre zu stark mit Kajal nachgezogenen Augen wirkten künstlich. Gohar kannte sie; sie war neu angestellt und erst vor kurzem aus ihrem Heimatdorf hierhergekommen. Sie mochte vielleicht sechzehn Jahre alt gewesen sein und hieß Arnaba. Seitdem sie hier arbeitete, stritten sich alle Kunden um sie; sie warteten stundenlang, bis sie frei war.
Gohar begrüßte sie, und sie lächelte. Wenn sie lächelte, sah sie aus wie ein als Frau verkleidetes kleines Mädchen.
»Du bist es«, sagte sie. »Tritt ein. Es ist niemand da. Set Amina macht Besorgungen in der Stadt. Die Mädchen hat sie mitgenommen.«
Gohar ging in den Vorraum, der als Wartezimmer diente. Wieder trat er in ein Halbdunkel ein und fühlte, wie sich seine überreizten Nerven beruhigten. Er hatte sich aber noch nicht wieder völlig abgeregt: Yeghen konnte er nirgendwo entdecken.
»Ist Yeghen nicht da?« fragte er.
»Vorhin hat er noch auf dem Sofa geschlafen«, sagte das Mädchen, während sie sich umsah. »Er muß weggegangen sein.«
Gohar wurde bleich vor Enttäuschung. Er wollte sie schon fragen, ob sie nicht wüßte, wohin Yeghen gegangen sei, aber er besann sich eines anderen.
»Ich werde hier auf ihn warten; vielleicht kommt er ja zurück.«
»Warte auf ihn, wenn du willst.«
»Bist du allein im Haus?«
»Ja. Ich bin nicht mit den anderen fort, weil ich mir die Haare waschen wollte. Jetzt bedauere ich es; sie haben eine Droschke genommen.«
Einen Augenblick schien sie zu zögern, dann ging sie in eines der an den Vorraum grenzenden Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Gohar blieb allein zurück. Er ließ seinen Blick umherschweifen, um eine Sitzgelegenheit ausfindig zu machen. Die Wände des Wartezimmers waren nackt, und es war einfach, fast provisorisch möbliert. Lediglich ein mit einem Schonbezug von undefinierbarer Farbe bedecktes Sofa, vier oder fünf Korbsessel und ein runder Tisch, auf dem ein großer Aschenbecher mit einer Reklameaufschrift thronte, waren zu sehen. Die übliche Einrichtung eines Freudenhauses im Alten Viertel. Jetzt, ohne seine buntgemischte Kundschaft, seine Atmosphäre der Ausschweifung und der käuflichen Freuden, machte es einen traurigen Eindruck. Gohar stieß einen Seufzer aus, wählte einen Sessel und setzte sich. Die düstere Trostlosigkeit dieses Wartezimmers übte eine heimtückische, fast verletzende Wirkung auf ihn aus. Zu dieser Tageszeit war er noch nie hiergewesen; alles an diesem Ort erschien ihm fremd und feindselig. Er klemmte seinen Gehstock zwischen die Beine, nahm noch eine Pfefferminzpastille aus seiner Tasche und begann sie widerwillig zu lutschen.
Sein quälender Gedanke an die Droge hatte sich ein wenig verflüchtigt, so als bildete der Umstand, sich am selben Ort zu befinden, an dem sich kurz zuvor Yeghen aufgehalten hatte, eine Sicherheit, eine moralische Gewißheit gegenüber dem Schicksal. Er dachte mit aufrichtiger Zuneigung an ihn. Die Gefühle und die Sympathie, die er Yeghen entgegenbrachte, hatten ihren Grund nicht nur in der Droge; er empfand für ihn eine Liebe, wie man sie einer lebendigen Idee entgegenbringt. Yeghen war ein miserabler Dichter, er führte ein ehr-und rühmloses Leben, das aus Bettelei und heiteren Zwistigkeiten bestand. Sein unmäßiger Drogenkonsum hatte ihn mehrmals ins Gefängnis gebracht. Über ihn kursierte ein infames Gerücht: er wurde verdächtigt, seine eigenen Drogenlieferanten an die Polizei zu verraten. Dieser Ruf eines Spitzels fügte ihm bei den Drogenhändlern den größten Schaden zu; sie mißtrauten ihm alle. Im Grunde genommen war es schwierig, dieses Gerücht auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, da sich Yeghen niemals die Mühe gemacht hatte, sich zu entlasten. Wie dem auch sei, selbst wenn er ein Verräter war, so verlor er doch nie seinen Humor und seine Großzügigkeit. Er war sich immer treu geblieben. Seine Fähigkeit, über quälende Gedanken und Gewissensbisse hinwegzugehen, machten ihn zu einem angenehmen Gefährten. Die Schändlichkeit seiner Handlungen minderten seinen Wert in keiner Weise; alle Erniedrigungen, die das Schicksal ihm auferlegte, akzeptierte er mit unbändigem Optimismus. Er besaß keine Würde, aber das hinderte ihn nicht daran zu leben. Was
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