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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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Blick, denn sie konnten seinem Bedürfnis nach menschlicher Phantasie keine Nahrung bieten. Allein die menschlichen Wesen mit ihren unzähligen Verrücktheiten besaßen die Gabe, ihn zu zerstreuen.
    Einen Augenblick lang verharrte er nachdenklich und betrachtete seine verwüstete und nicht mehr zu benutzende Schlafstätte. Die alten Zeitungen, die ihm als Matratze dienten, waren völlig durchnäßt; sie begannen bereits, auf dem Boden zu treiben. Der Anblick des Unheils gefiel ihm wegen seiner primitiven Einfachheit. Da, wo nichts war, tobte der Sturm vergeblich. Die Unverletzbarkeit Gohars gründete in dieser vollkommenen Mittellosigkeit; er bot den Verwüstungen keine Angriffspunkte. Er erinnerte sich wieder an seine extravaganten Nachbarn und fragte sich nach den Gründen für diese ungewöhnliche Reinlichkeit. Was hatten sie vor? Das Haus würde einer solchen Behandlung niemals standhalten; es war bereits bis in die hintersten Ecken hinein vermodert und wartete nur noch auf ein Zeichen, um einzustürzen. Sie würden alle umkommen, daran bestand kein Zweifel.
    Gohar zerbrach sich den Kopf über die möglichen Absichten dieser verdammten Nachbarn, als ein aus mehreren Kehlen dringender ungeheurer Schrei, ein Schrei so lang wie eine Schreckensnacht, in der Nachbarwohnung erschallte. Die Wände des alten Hauses schwankten unter der Gewalt der Erschütterung; auf seinem Höhepunkt angekommen, brach der Schrei ab; eine beängstigende Stille trat ein, gefolgt von dunklem Geheul. Gohar verstand die Bedeutung dieser entsetzlichen Raserei nicht sofort. Dann ging ihm ein Licht auf, blitzartig. Es bestand kein Zweifel, das waren Klageweiber. Innerhalb einer Sekunde erfaßte er das ganze Grauen des Ereignisses: In der Nachbarwohnung lag ein Toter, und das weiße, seifige Wasser, das ihn in seinem Schlaf heimgesucht hatte, war das Wasser, mit dem man den Leichnam gewaschen hatte.
    Zunächst nagelte ihn die Bestürzung auf seinem Stuhl fest, dann der Ekel, der ihm den Atem raubte. Niedergeschlagen betrachtete er seine noch feuchten, zitternden Hände, seine vom Tod besudelten Kleider. Dann schüttelte er sich heftig, so als würde er die schädlichen Keime des Todes weit von sich schleudern, und lief zu dem Tonkrug mit dem Wasser. Aber der Tonkrug war leer; Gohar sah sich verstört nach allen Seiten um, suchte in seiner Verzweiflung einen nicht vorhandenen Wasserhahn. Wie sollte er sich die Hände waschen? Er streckte sie von sich und fragte sich, an welcher Krankheit sein Nachbar gestorben sein könnte. Vielleicht hatte er eine ansteckende Krankheit gehabt. »Bakterien!« dachte er ängstlich. Aber fast im gleichen Moment erschien ihm die Angst vor Bakterien lächerlich. »Wenn man an Bakterien sterben würde«, dachte er, »dann wären wir alle schon lange tot.« In einer so lächerlichen Welt verloren selbst die Bakterien ihre Virulenz. Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl und dachte lange über die Komik seines Abenteuers nach. Er hatte seine Ruhe wiedergefunden, alles war einfach und leicht, außerordentlich durchschaubar. Kein Unheil hatte die Kraft, ihn in einen Zustand von Traurigkeit zu versetzen: sein Optimismus triumphierte über die schlimmsten Katastrophen. Mit einem Gefühl vollkommener Gleichgültigkeit betrachtete er nochmals den vom Wasser überschwemmten Boden, die verstreuten alten Zeitungen, die unwirkliche Nacktheit seines Zimmers, und ein seltsames Lächeln erhellte einen Augenblick lang sein weiches und asketisches Gesicht.
    In der Nachbarwohnung hatten sich die Klageweiber jetzt entschieden in ihrem Unglück eingerichtet; ihr Geheul hatte ein unerbittliches Ausmaß erreicht und die Atmosphäre eines endgültigen und blutigen Dramas geschaffen. Kein menschlicher Wille war in der Lage, ihrem schwindelerregenden Geschäft Einhalt zu gebieten. Gohar war von diesem unheimlichen Klagen ganz verzaubert. Er war besessen von dem Wunsch, jenseits der Schreie etwas zu fassen zu bekommen, das ihn heiter stimmen könnte. Diese gekünstelten Schreie jedoch, die aus käuflichen Kehlen hervordrangen, klangen in seinem Ohr wie der Ruf eines fremden Universums; er erkannte darin kein Anzeichen einer menschlichen und vertrauten Welt. Dieses Universum simulierter und kreischender Schmerzen erfüllte seinen Kopf mit einem vergifteten Lärm, der ihn schwindelig machte.
    Zu ungewohnter Stunde war er jäh geweckt worden, und er hatte Lust, noch weiter zu schlafen. Aber wie sollte er mit diesen verdammten Klageweibern auf der

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