Gohar der Bettler
tut mir leid, daß er nicht da ist. Vielleicht kommt er ja schon bald zurück.«
Gohars Leiden wurde unerträglich; es breitete sich in seinem ganzen Körper aus, wenn der Name Yeghens nur genannt wurde.
»Kennst du ihn gut?« fragte er.
»Wen? Yeghen? Oh, er amüsiert mich sehr. Er scheint ein Dichter zu sein; er selbst hat es mir gesagt.«
»Das stimmt«, sagte Gohar. »Er ist sogar ein großer Dichter.«
»Das ist wirklich lustig! Sag mal, ist es bei Dichtern so üblich, daß sie Geld von den Mädchen haben wollen?«
Plötzlich war Gohars Interesse geweckt. Er wußte nicht, daß Yeghen sich auch als Zuhälter betätigte. Das war ihm neu.
»Wieso? Wollte er Geld von dir?«
»Ja. Er hat mir da so eine Geschichte von seiner Mutter erzählt. Sie scheint gestorben zu sein, und jetzt braucht er Geld für das Begräbnis. Er hat mir anvertraut, daß er den Leichnam seit einer Woche bei sich zu Hause aufbewahrt. Was hältst du von der Sache?«
Trotz seiner dramatischen Lage hätte Gohar beinahe laut aufgelacht. Es stand fest, daß die ganze Geschichte erlogen war; er kannte Yeghen gut genug, um zu wissen, daß er dazu fähig war, alles mögliche zu erfinden, um seinen vielen Bewunderern ein wenig Geld aus der Tasche zu ziehen. Insbesondere wenn es darum ging, Geld für den Kauf von Drogen aufzutreiben, grenzte Yeghens Einbildungskraft manchmal an Irrsinn.
»Und hast du ihm welches gegeben?«
»Ich bin doch nicht verrückt«, sagte das Mädchen. »Alles Geld, das ich verdiene, schicke ich meinem Onkel, bei dem ich aufgewachsen bin. Er hat mir geraten, mich vor Zuhältern in acht zu nehmen.«
»Du bist ein gewissenhaftes Mädchen«, sagte Gohar.
»Du machst dich über mich lustig«, sagte das Mädchen lachend.
»Ganz und gar nicht. Das meine ich vollkommen ernst.«
Gohar dachte nach. Das leidenschaftliche Interesse, das Yeghens bewegtes Leben stets bei ihm weckte, führte dazu, daß er in allen Einzelheiten über den Mechanismus seiner verrückten Unternehmungen nachdachte. Hinter dieser Geschichte von zweifellos schwarzem Humor verbarg sich unübersehbar eine von Elend und Armut geprägte Wirklichkeit. Daß es mit Yeghen so weit gekommen war, daß er Geld für den erfundenen Leichnam seiner Mutter erbettelte, verwunderte ihn nicht besonders: Er verdächtigte ihn noch sehr viel zynischerer Dinge. Das konnte ganz einfach bedeuten, daß ihm das Geld ausgegangen war. Demzufolge war es sehr wahrscheinlich, daß er selbst auch keine Drogen mehr hatte. Diese Entdeckung war niederschmetternd für Gohar. Plötzlich hatte er Lust, dieses Zimmer zu verlassen und sich auf die Suche nach Yeghen zu begeben; er tat es aber nicht.
Er sah das Mädchen an.
Sie saß, die Beine leicht gespreizt, auf der Bettkante, der Morgenmantel umspielte locker ihren Körper, und ihre festen Brüste zeichneten sich durch den Stoff ab wie zwei reife Granatäpfel. Gohar betrachtete sie gleichgültig, aber trotzdem machte ihn die Schönheit des Mädchens verlegen. In diesem Dämmerlicht, das noch den Geruch der jüngsten Ausschweifungen ausströmte, erlangte sie eine eigenartige Bedeutung. Das Lächeln, das ihre geschminkten Lippen umspielte, schien ihn in eine Falle locken zu wollen. Gohar benahm es den Atem. Die Nähe dieses kühn dargebotenen jungen Fleisches ließ ein sehr unbestimmtes, fast abstraktes Begehren in ihm aufsteigen. Schon lange hatte er nicht mehr den Wunsch verspürt, mit jemandem zu schlafen, hatte er sich jede körperliche Intimität mit anderen Menschen versagt. Sein Leben beschränkte sich auf die einfachsten Dinge, es war keinen Ausbrüchen der Leidenschaft mehr ausgeliefert; es verlief ohne Erschütterungen, wie ein ruhiger Traum. Allein die Droge besaß Bedeutung. Wieder kam ihm das unerträgliche Bedürfnis nach der Droge zu Bewußtsein, und er mußte leicht keuchen. Würde er noch lange warten müssen? Er hatte das Gefühl, als würden seine lebenswichtigen Organe ihren Dienst versagen, träge und schlaff werden. Unter Aufbringung all seiner Kräfte riß er sich zusammen und bekam die Krämpfe, die seinen Körper durchzuckten, in den Griff Er mußte so schnell wie möglich einen ganz bestimmten Zweifel ausräumen.
»Wann wollte er Geld von dir?«
»Heute morgen«, antwortete das Mädchen. »Wir haben uns ein wenig miteinander unterhalten; er wirkte traurig und entmutigt.«
Jetzt bestand kein Zweifel mehr: Yeghen sah nur dann traurig und entmutigt aus, wenn er keine Drogen mehr hatte. Nur in diesem Fall ließ sein
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