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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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anderen Seite der Wand den Schlaf wiederfinden? Sie würden kein Erbarmen kennen. Gohar zitterte, ihm war kalt. Er wurde ganz steif ließ einen langen Augenblick verstreichen und erhob sich dann von seinem Stuhl. Er hatte beschlossen auszugehen.
    Er hob seinen Tarbusch auf, der in einer von der Überschwemmung verschonten Ecke des Zimmers herumlag, setzte ihn sich auf den Kopf, ergriff seinen Gehstock und trat ins Treppenhaus hinaus. Die Tür seiner Nachbarn stand weit auf; Gohar, der ziemlich verschreckt aussah, zögerte lange. Sein Instinkt riet ihm, vorsichtig zu sein; von diesen entfesselten Klatschweibern befürchtete er das Schlimmste. Sie waren dazu fähig, beim Anblick eines Mannes allein aus Eitelkeit ihre Raserei noch weiter zu treiben. Gohar erschauderte bei diesem Gedanken, und ohne zu überlegen stürzte er die wackelige Treppe hinunter und nahm das flüchtige Bild eines Haufens dicker, in weite schwarze Gewänder gehüllter Frauen mit, die, das Gesicht und die Hände Waschblau gefärbt, in einem Kreis auf dem Boden hockten. Während sie ihre dämonischen Schreie ausstießen, schlugen sie sich auf die Brust. Gohar hatte plötzlich das Gefühl, er würde ohnmächtig und die Treppe gäbe unter seinen Schritten nach. Er konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie er auf die Straße hinausgekommen war.
    Es war fast Mittag. In der breiten El-Azhar-Straße, die von einer bunten und sorglosen Menge überquoll, gelangte Gohar wieder in den Vollbesitz seiner Kräfte. Hier, inmitten dieser trägen Menge, die sich trotz des dichten Verkehrs der Autos, Droschken, Eselskarren und selbst der Straßenbahnen, die mit der Geschwindigkeit tödlicher Boliden dahinrasten, gleichgültig über die Gehsteige und die Fahrbahn ausbreitete, befand er sich in seinem ihm vertrauten Universum. Die milde Wintersonne ergoß ihre wohltuende Wärme über dieses unentwirrbare Gewimmel. Milane schwebten hoch am Himmel, tauchten in die Menge hinab, nahmen dann ihren Flug wieder auf, wobei sie in ihrem Schnabel ein Stück verdorbenes Fleisch mit sich forttrugen; niemand schenkte ihren geschickten Manövern Beachtung. Gruppen von Frauen standen vor den Geschäften der Stoffhändler; stundenlang handelten sie hartnäckig den Kauf irgendeines bedruckten Tuches aus. Kinder machten sich einen Spaß daraus, Fahrzeugführer zu ärgern, indem sie sich ihnen absichtlich in den Weg stellten. Die Fahrer überhäuften sie mit Verwünschungen, verfluchten sie, sie und ihre abwesenden Mütter, und manchmal überfuhren sie auch einige von ihnen. Aus allen Cafes, die die Straße säumten, ertönte aus dem Radio dieselbe heulende Stimme eines bekannten Sängers. Die Begleitmusik war traurig; der Text beschrieb ausführlich sein Unglück und seine Trauer über eine verhinderte Liebe. Gohar erinnerte sich an seinen toten Nachbarn, an die gellenden Schreie der Klageweiber, und beschleunigte seinen Schritt. Aber es gab keine Möglichkeit, dieser trauernden Stimme zu entkommen, sie war überall und übertönte den Straßenlärm.
    Gohar blieb instinktiv stehen, als erahnte er eine Zone der Annehmlichkeit, das Versprechen einer köstlichen Freude inmitten des ihn umgebenden unbestimmten Lärms. Vor einem leeren Geschäft sah er einen älteren, sorgfältig gekleideten Mann würdevoll auf einem Stuhl sitzen, der mit unbeteiligtem und königlichem Gesichtsausdruck die Menge der Passanten beobachtete. Der Mann hatte eine überaus auffallende majestätische Haltung. »Das ist ein Mann nach meinem Geschmack«, dachte er. Dieses leere Geschäft und dieser Mann, der nichts verkaufte, waren für ihn eine unschätzbare Entdeckung. Gohar ahnte, daß das Geschäft lediglich als Dekor diente; er nutzte es, um seine Freunde zu empfangen und ihnen eine Tasse Kaffee anzubieten. Das war der Gipfel des Überflusses und der Großzügigkeit. Gohar grüßte ihn wie einen alten Bekannten, und der Mann erwiderte seinen Gruß mit einem sanften, kaum wahrnehmbaren Lächeln, so als würde er verstehen, daß man ihn bewunderte.
    »Erweise mir die Ehre«, sagte der Mann. »Habe die Güte und laß dich zu einer Tasse Kaffee einladen.«
    »Danke«, sagte Gohar, »ein andermal. Ich bitte um Vergebung.«
    Sie sahen sich einen Augenblick mit sichtlicher Freude, beinahe zärtlich an, dann setzte Gohar seinen Weg durch die Menge fort. Er war vollkommen glücklich. Es war immer das gleiche: dieses Entzücken, das er gegenüber der absurden Einfachheit des Lebens empfand. Alles war lächerlich

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