Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
in den Mund stecken konnte. Zweitausendvierhundert Kilometer entfernt war der erste von drei Finalläufen vorbei. Ein seltsames Gefühl, nicht zu wissen, ob Zoe gewonnen oder verloren hatte. Kate schaltete den Fernseher ein und aus, als könnte irgendein heilendes Teilchen der Elektroinstallation im Haus – eine Art elektronisches weißes Blutkörperchen – den Schaden kuriert haben. Es kam kein Bild. Stattdessen sah sie sich selbst, viereinhalb Kilo schwerer als ihr Renngewicht, nachmittags um drei im Nachthemd, wie sie sich vor dem nackten schwarzen Bildschirm bückte.
    Sie seufzte. Das Problem mit dem Spiegelbild ließ sich beheben. Hartes Training würde ihr Gesicht wieder schmaler machen, und ihr blondes Haar würde nicht ewig zu einem Knoten zusammengebunden sein, um es vor Sophies klebrigen Fingern zu schützen. Ihre blauen Augen versteckte sie auch nur hinter der hässlichen Brille, weil sie noch nicht die Kraft gefunden hatte, sich anzuziehen und Reinigungsflüssigkeit für die Kontaktlinsen zu kaufen. Das alles ließ sich lösen.
    Doch als sie sich selbst im Fernseher betrachtete, überkam sie die Panik, Jack könne sie nicht mehr attraktiv finden. Nein, sie durfte gar nicht erst anfangen, darüber nachzugrübeln. Sie ließ sich aufs Sofa fallen und rief ihn an.
    »Hast du das gesehen?«, brüllte er. Im Hintergrund grölten fünftausend Menschen. »Sie hat es geschafft! Sie hat gewonnen, und zwar spielend!«
    »Zoe hat’s geschafft?«
    »Ja! Die Stimmung hier ist unglaublich. Hast du es dir etwa nicht angeschaut?«
    »Es ging nicht.«
    Sie spürte sein Zögern. »Hey, Kate, mach dir nichts draus. In Peking bist du dabei.«
    »Nein, ich meine, es ging wirklich nicht. Wir haben keinen Strom.«
    »Hast du die Sicherung überprüft?«
    »Nein, Ken, darauf ist mein Barbie-Hirn gar nicht gekommen.«
    »Entschuldigung.«
    Kate seufzte. »Schon gut. Ich wollte mich um die Sicherung kümmern, aber Sophie hat mich nicht gelassen.« Sie merkte sofort, wie albern das klang.
    »Kann ja sein, dass unsere Tochter für ihr Alter ganz schön stark ist, aber noch müsstest du sie besiegen können.«
    Kate lachte. »Tut mir leid. Ist im Moment nur ziemlich beschissen hier.«
    »Ich weiß. Danke, dass du dich um sie kümmerst. Du fehlst mir.«
    Tränen traten ihr in die Augen. »Ehrlich?«
    »Hey, machst du Witze? Wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich zu euch nach Hause fliege oder morgen hier um Gold fahre … du weißt doch, dass ich sofort in den Flieger steigen würde, oder?«
    Kate schniefte und wischte sich über die Augen. »Ich will nicht, dass du wählen musst, Idiot. Ich will, dass du gewinnst.«
    Sie spürte sein Lächeln.
    »Wenn ich gewinne, dann nur aus Angst, dass du mir sonst was antust.«
    »Komm nach Hause, wenn du Gold gewonnen hast, okay? Versprich mir, dass du nicht noch länger mit ihr da draußen bleibst.«
    »Himmel«, sagte er. »Natürlich nicht, das weißt du doch.«
    »Ich weiß«, antwortete sie leise. »Es tut mir leid.«
    Der Lärm schwoll wieder an.
    »Das zweite Rennen beginnt«, rief Jack. »Ich ruf dich wieder an, okay?«
    »Meinst du, sie gewinnt?«
    »Absolut. Den ersten Durchgang hat sie lässig weggesteckt.«
    »Jack?«
    »Ja?«
    »Ich liebe dich. Mehr als Schokoladeneis nach dem Training.«
    »Ich liebe dich auch. Mehr als Gold.«
    Sie lächelte. Es war ein perfekter Augenblick, und dann zerstörte sie ihn selbst: »Ruf mich an, wenn das Rennen vorbei ist, ja?«
    Sie zuckte zusammen. Wie jämmerlich es klang, wenn sie Forderungen an ihn stellte. Es sollte nicht nötig sein, sich der Liebe dauernd aufs Neue zu versichern. Andererseits sollte man in der Liebe auch nicht allein zu Hause sitzen und sein Spiegelbild in einem kaputten Fernseher betrachten, während die Versuchung mit fliegenden Fahnen zum Ruhm stürmte.
    Jacks Antwort ging im Gebrüll der Menge unter. Wieder war Zoes Name zu hören.
    Kate beendete das Gespräch und ließ das Telefon sanft auf die Kissen mit den strapazierfähigen waschbaren Bezügen fallen. Sie hatte nicht nur den Glauben daran verloren, dass sie jemals selbst an den Olympischen Spielen teilnehmen würde. Wenn sie ehrlich mit sich war, wusste sie nicht einmal, ob sie auch nur die Art von Rennen gewinnen konnte, die man auf Küchenstühlen und Sofas austrug.
    Sie schaute mit verschwommenem Blick aus dem Fenster. Ein Eichhörnchen hatte in der flimmernden Hitze hinter dem Haus in den Tiefen einer Chipstüte etwas zu knabbern gefunden.
    Sie dachte: Ist

Weitere Kostenlose Bücher