Gold
das jetzt mein Leben?
Sie drückte die Hände sanfter als zuvor an die Schläfen und maß ihren Pulsschlag am Sekundenzeiger der Wohnzimmeruhr. Es war Monate her, dass sie hart trainiert hatte, doch selbst jetzt lag ihr Herzschlag bei Stress noch unter sechzig. Der Sekundenzeiger beendete seine Runde, und sie hatte nur bis zweiundfünfzig gezählt. Manchmal war das der einzige kleine Sieg des Tages: zu wissen, dass sie fitter war als die Zeit.
Sie blickte auf und sah, wie Sophie sie imitierte, die winzigen Hände gegen den Kopf drückte. Kate lachte, und Sophie lachte – zum allerersten Mal – zurück.
Eine Woge der Euphorie erfasste Kate.
»Mein Gott, Schätzchen, du hast gelacht !«
Sie fiel auf die Knie, hob Sophie auf und umarmte sie. Das Mädchen grinste – der zahnlose Prototyp eines Grinsens, das ins Wanken geriet, verrutschte und wieder erstrahlte. Sie gluckste laut, hocherfreut über sich selbst.
»Mein kluges Mädchen!«
Wenn ich das Jack erzähle , dachte sie, und der Gedanke war so leicht und einfach, dass sie plötzlich wusste, alles würde gut. Was bedeutete es schon, wenn Zoe heute oder Jack morgen Gold gewann? Solange sie in ihrem unordentlichen Wohnzimmer kniete, ihr Baby an sich drückte und seinen warmen säuerlichen Duft einatmete, konnte es unmöglich etwas Wichtigeres geben. Wen interessierte es schon, dass sie ihr Rennrad bis vor kurzem auf fünfundsechzig Stundenkilometer hochgepeitscht hatte? Nun, da das wirkliche Leben mit seinen echten Fortschritten begonnen hatte, mit den wunderbaren Meilensteinen des Mutterseins, kam es ihr absurd vor, dass sich überhaupt jemand die Mühe machte, mit dem Fahrrad auf einer ovalen Bahn immer rundherum zu fahren, oder dass jemand auf die sonderbare Idee gekommen war, dem Schnellsten dafür eine Goldmedaille zu geben. Wem hatte es jemals genutzt, bis zum Sankt Nimmerleinstag im Kreis zu fahren?
Also wirklich, dachte sie, bringt einen das irgendwie weiter?
Nach einer Minute, in der ihr Herz neunundvierzig Mal schlug, lächelte sie müde.
»Tja, wem will ich hier was vormachen?«, sagte sie laut. Sophie blickte beim Klang ihrer Stimme auf und sah sie neugierig an, ein experimenteller Gesichtsausdruck, den nur sie beherrschte, eine vollkommene Balance zwischen Lachen und Jammern.
Acht Jahre später, Montag, 2. April 2012
Gefangenendeck 9 der Imperialen Gefechtsstation, auch Todesstern genannt
Weil die Rebellin – das Kind – Widerstand leistete, sperrte man sie in eine dunkle metallene Arrestzelle, die nach Maschinenöl roch. Es war zu viel für sie, und sie grinste und zappelte vor Aufregung, klammerte sich an ihren Vater. Er hielt den dünnen Hals des Kindes in der Armbeuge und übte gerade so viel Druck aus, dass er es festhalten und gleichzeitig stumme Zuneigung zeigen konnte. Das Kind wand sich, um freizukommen, und verlieh so der Umarmung einen Hauch von Härte. Elternsein war überall im Universum ähnlich.
Zwei Klonkrieger bewachten das Paar. Sie schauten einander an und entschieden mit einem Nicken, dass die Gefangenen fürs Erste sicher untergebracht waren.
Sie verließen das Gefangenendeck und schlüpften diskret durch eine Seitentür auf den in helles Aprillicht getauchten Parkplatz. Dort nahmen sie die Helme ab, schüttelten sich das Haar aus und kauften an einem Imbisswagen zwei Becher Tee. Sie waren beide zweiunddreißig. Im wirklichen Leben Leistungssportlerinnen. Sie hatten Sponsorenverträge, stritten mit der Presse um ihre Privatsphäre, und ihr Körperfettanteil lag bei unter vier Prozent. Auf der Weltrangliste im Bahnrad-Sprint standen sie auf Platz eins und zwei.
»Was ich so alles für dich mache«, sagte Zoe. »In diesen Anzügen ist es dermaßen heiß.« An ihrer Stirn klebten schwarze, feuchte Haarsträhnen.
»Ich muss mal«, sagte Kate. »Aber wie soll das in diesen Kostümen gehen?«
»Die wurden nicht von einer Frau entworfen.«
»Der Todesstern wurde auch nicht von einer Frau entworfen. Sonst hätte er Vorhänge. Und außerdem eine Kinderkrippe.«
Zoe streckte die Fäuste gen Himmel. »Genau! Könnt ihr denn nicht begreifen, dass man Muttersein und die Unterdrückung der Rebellen-Allianz irgendwie miteinander vereinbaren muss?«
Kate schüttelte traurig den Kopf. »Wenn du dich so aufrührerisch verhältst, bleibst du ewig ein Klonkrieger.«
»Du irrst dich. Sie werden meinen Einsatz und meine Leidenschaft belohnen. Dann befördern sie mich zur Kommandantin einer Gefechtsstation.«
»Mach dir nichts vor.
Weitere Kostenlose Bücher