Gold. Pirate Latitudes
sprecht wie ein König.«
»Ein Captain ist ein König, er herrscht über seine Besatzung.«
Sie trat näher. »Und nehmt Ihr Euch auch Eure Vergnügungen, wie ein König das tut?«
Ihm blieb nur eine Sekunde Zeit zum Nachdenken, ehe sie ihre Arme um ihn schlang und ihn auf den Mund küsste, fest. Er erwiderte ihre Umarmung. Als sie sich voneinander lösten, sagte sie: »Ich habe solche Angst. Alles ist fremd hier.«
»Madam«, sagte er, »es ist meine Pflicht, Euch sicher zu Eurem Onkel und meinem Freund Gouverneur Sir James Almont zurückzubringen.«
»Redet nicht so gestelzt. Seid Ihr Puritaner?«
»Nur von Geburt«, sagte er und küsste sie erneut.
»Vielleicht sehe ich Euch später noch«, sagte sie.
»Vielleicht.«
Sie ging nach unten, nicht ohne ihm im Dunkeln noch einen letzten Blick zugeworfen zu haben. Hunter lehnte sich gegen eine Kanone und sah ihr nach.
»Appetitliches Weibsbild, was?«
Er drehte sich um. Es war Enders, der ihn angrinste.
»Kaum ist eine Hochwohlgeborene mal aus ihrem goldenen Käfig, schon wird sie ganz wild, was?«
»Scheint so«, sagte Hunter.
Enders blickte an den Kanonen entlang und schlug mit der flachen Hand auf ein Geschützrohr. Es hallte dumpf. »Zum Wahnsinnigwerden, nicht?«, sagte er. »All die schönen Kanonen und wir können sie nicht einsetzen, weil wir nicht genug Männer haben.«
»Ihr solltet Euch schlafen legen«, sagte Hunter knapp und ging davon.
Aber was Enders gesagt hatte, war richtig. Er schritt weiter auf dem Deck hin und her. Die Frau verschwand aus seinen Gedanken, die sich erneut mit den Kanonen befassten. Irgendein ruheloser Teil seines Gehirns grübelte wieder und wieder darüber nach, auf der Suche nach einer Lösung. Es musste irgendeinen Weg geben, diese Kanonen zu benutzen, davon war er überzeugt. Da war irgendetwas, das seinem Gedächtnis entglitten war, irgendetwas, das er vor langer Zeit mal gewusst hatte.
Diese Frau hielt ihn offensichtlich für einen ungehobelten Barbaren – oder schlimmer noch, für einen Puritaner. Er lächelte im Dunkeln bei dem Gedanken. In Wahrheit war Hunter ein gebildeter Mann. Er war in allen wichtigen Wissenschaften, wie sie seit dem Mittelalter galten, unterrichtet worden. Er hatte die Geschichte des Altertums studiert, Latein und Griechisch, Naturphilosophie, Religion und Musik. Damals hatte ihn nichts davon interessiert.
Schon in jungen Jahre hatte ihn praktisches, empirisches Wissen weitaus mehr fasziniert als die Meinungen von irgendwelchen Denkern, die längst tot waren. Jeder Schuljunge wusste, dass die Welt um ein Vielfaches größer war, als es Aristoteles sich je erträumt hatte. Hunter selbst war in einem Land geboren worden, von dessen Existenz die alten Griechen keine Ahnung hatten.
Jetzt jedoch erwachten in ihm Bruchstücke seiner Bildung zum Leben. Er musste immer wieder an Griechenland denken – irgendetwas mit Griechenland oder den alten Griechen –, aber er wusste einfach nicht, was oder warum.
Dann fiel ihm das Ölgemälde in Cazallas Kajüte an Bord des spanischen Kriegsschiffs ein. Hunter hatte kaum auf das Bild geachtet und konnte es sich jetzt auch nicht mehr deutlich in Erinnerung rufen. Aber irgendetwas mit einem Gemälde auf einem Kriegsschiff ließ ihm keine Ruhe mehr. In irgendeiner Weise war es wichtig.
Aber wieso nur? Er verstand nichts von Malerei. Malen war in seinen Augen eine ausgesprochen nebensächliche Begabung, lediglich geeignet, irgendwelche Wände zu verschönern und nur für eitle und wohlhabende Adelige von Interesse, die sich gegen Bezahlung porträtieren ließen, mit schmeichelhaften Verschönerungen. Die Maler selbst waren, wie er wusste, schlichte Gemüter, die wie Zigeuner ruhelos von einem Land zum anderen wanderten, stets auf der Suche nach irgendeinem Gönner, der ihre Arbeit unterstützte. Es waren heimatlose, entwurzelte, leichtfertige Gesellen, ohne die feste Bindung eines starkes Gefühls für die Nation, in die sie hineingeboren worden waren. Hunter dagegen betrachtete sich trotz der Tatsache, dass seine Urgroßeltern von England nach Massachusetts geflohen waren, als reinblütigen Engländer und leidenschaftlichen Protestanten. Er führte Krieg gegen einen spanischen und katholischen Feind und hatte für niemanden Verständnis, der nicht ebenso patriotisch war. Sich allein der Malerei verbunden zu fühlen, das war wahrlich eine fade Form der Treue.
Und doch kamen Maler in der Welt herum. Franzosen gingen nach London, Griechen nach Spanien
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