Gold und Stein
denke, wie lästig mir das Anschwänzen fällt. Ich kann den Geruch des Trebers nun mal nicht ertragen.«
»Es ist aber nicht allein des Brauens wegen schön, Agnes bei uns zu haben. Auch hier bei der Bortenmacherei hilft sie uns sehr«, stellte Marie fest. Ihrer großen, schief gewachsenen Zähne wegen lachte sie kaum mit offenem Mund. »Gepriesen sei der Tag, an dem der gute Laurenz sie uns dagelassen hat. Wollen wir hoffen, er holt sie nicht allzu bald wieder ab.«
»Ich weiß nicht, ob wir uns das wünschen dürfen. Das ist doch sehr eigensüchtig«, warf Theres ein.
Mit hochrotem Kopf wandte Agnes sich ab und zwirbelte die Enden ihres Halstuchs so fest um den rechten Zeigefinger, dass das Blut aus der Spitze wich. »Stammt ihr beide hier aus dem Löbenicht?«, versuchte sie, das Thema zu wechseln.
»Nein. Warum willst du das wissen?« Verwundert sah Theres auf.
»Dann wisst ihr wohl wenig über die Löbenichter Familien?«
»Kommt darauf an«, erwiderte Theres.
»Wir sind beide in Rauschen aufgewachsen.« Wieder besser gestimmt, unterbrach auch Marie ihre Tätigkeit. »Das liegt weit weg von hier direkt am Meer, wie der Name verrät. Dort gibt es eine riesige Mühle. Die Kreuzherren haben sie gleich am Katzbach angelegt. Ein gewaltiges Ding. Soweit ich weiß, ist es die größte Mühle, die die Ordensritter je gebaut haben. Übrigens ist die Tochter der Meisterin mit einem der Müller verheiratet. Um die Mühle stehen nur einige karge Hütten. Fischer leben darin, so wie unsere Väter und Brüder. Die Frauen und Töchter helfen ihnen beim Netzeknüpfen und -flicken. Trotz des harten Lebens sagt man uns Menschen aus Rauschen allesamt ein heiteres Gemüt nach. Das stete Strahlen der Sonne vom tiefblauen Himmel färbt eben ab. Das siehst du bei Theres und mir.«
»Es heißt, die Nähe zum Meer, das unablässige Rauschen der Wellen sowie das geheimnisvolle Rauschen der Wälder, die bis nah zum Wasser stehen, klinge in unserem Wesen nach«, pflichtete Theres ihr stolz lächelnd bei.
»Nichts Düsteres beschwert uns lange den Sinn«, fuhr Marie fort. »Das ewige Grübeln ist nicht unsere Sache. Dafür sind wir stets offen für Neues, immer bereit, etwas zu wagen. So haben Theres und ich auch nicht lange gezögert, als eines Tages eine richtige Dame in unserem Dorf aufgetaucht ist. Sie trug wunderschöne Bänder in Kleid und Haar. Seither stand für uns fest, etwas anderes …«
»Sei ehrlich zu Agnes, Liebes. Sie wird uns verstehen«, fiel Theres ihr vergnügt ins Wort. »Eines Tages waren wir das Knüpfen der groben Fischernetze einfach leid. Auch die Burschen dort haben uns zu sehr gestunken. Deshalb sind wir von zu Hause weg. Wir wollten feinere Arbeiten für unsere Hände und vor allem feiner riechende Burschen für unsere großen Herzen suchen.«
»Seid ihr beide etwa auch von zu Hause wegge…?«, fragte Agnes scheu.
»Mach dir keine Gedanken«, beeilte sich Marie zu versichern. »Theres übertreibt mal wieder. Von Weglaufen kann nicht die Rede sein. Theres neigt dazu, jede Kleinigkeit zu unglaublichen Geschichten aufzubauschen. Die schöne Dame ist letztlich noch einmal wiedergekommen und hat sich als Händlerin aus der Altstadt entpuppt. Wir haben unseren gesamten Mut zusammengekratzt und sie gefragt, ob sie uns als Mägde gebrauchen kann. Unsere Familien waren froh, zwei Esser weniger zu haben. Zum Glück hat die Dame gewusst, dass deine Muhme auf der Suche nach tüchtiger Hilfe war. So sind wir vor sechs Jahren in den Löbenicht gekommen.«
Der Grimm über diese wenig aufregende Wiedergabe ihrer beider Lebensgeschichte stand Theres deutlich ins Gesicht geschrieben. Missbilligend schnaufte sie und griff nach einer Winde. Marie zuckte achtlos die Schultern und nahm sich ihre Spule ebenfalls wieder zur Hand.
Nach einer Weile hob Theres den Kopf. »Jetzt weißt du also ganz sicher, Kleines, dass Marie und ich überaus biedere Mädchen sind. Unser vorlautes Gegacker über stinkende Burschen und untreue Ehemänner ist nichts als leeres Gerede. Was soll uns auch schon anderes durch den Kopf gehen, wenn wir Tag für Tag Borten weben, die verliebte Narren ihren Herzensdamen weihen? Neidzerfressen verfolgen wir das Glück der anderen. Da ist es doch kein Wunder, dass wir uns wenigstens in Gedanken die aufregendsten Abenteuer zurechtspinnen. Wie sonst ist all das Tändeln um uns herum zu ertragen?« Spöttisch sah sie zu ihrer Gefährtin, die erneut die Augen rollte.
»Wie aber steht es mit dir?«
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