Gold und Stein
hinter dem Altstädter Markt schlug sie den Weg zum Pregel ein und gelangte durch das Tor auf die Krämerbrücke.
Vor der Badestube direkt zu Beginn der Kneiphöfer Langgasse herrschte Tumult. »Dich werde ich lehren, meine Bademägde anzufassen! Scher dich zum Teufel, du geiler Hurenbock!« Mit zornrotem Gesicht jagte der Bader einen glatzköpfigen, halbnackten Alten wie einen Hund vor seinem Haus im Kreis herum. Drohend wedelte er mit einem Leintuch über seinem Kopf, holte zum Schlag gegen den Glatzköpfigen aus. Der lief weiter geduckt umher, wusste nicht, was er sich eher mit den Händen bedecken sollte: den kahlen Schädel, dem Schläge drohten, oder den entblößten Oberkörper. Seine Kleider musste er in der Badestube zurückgelassen haben. Mit lautem Johlen begleiteten die Schaulustigen das Spektakel. Flink schob Agnes sich durch das Gedränge.
»Ihr seid also die berühmte Bierbrauerin aus Labiau«, begrüßte sie der Wirt des Grünen Baums, kaum dass sie wenig später ihr Begehren in der überraschend hellen, geräumigen Schankstube vorgetragen hatte. Sogleich drehten sich die Gäste zu ihr um. Sie errötete, wickelte sich fahrig die Enden ihres Halstuchs um den Finger, froh, dass es Thereses Reißen standgehalten hatte.
»Setzt Euch, liebes Fräulein, und erzählt mir ein wenig aus Eurer Heimat«, überging der Wirt ihre Verlegenheit. »Es heißt, im Moosbruch gingen seltsame Gestalten um. Der ist nicht weit von Labiau, oder? Gewiss habt Ihr dazu eine gute Geschichte parat.«
»W-w-w-wir meiden das Moor«, verfiel Agnes ins Stottern und überlegte krampfhaft, wie sie aus dieser verzwickten Lage wieder herauskam. Plötzlich kam ihr die rettende Idee. Fröbel hatte ihr einst etwas Passendes erzählt. Erleichtert sprudelte sie los: »Dafür lieben wir das Frische Haff. Wisst Ihr, warum es nicht so tief ist? Das haben wir allein der Heiligen Jungfrau Maria zu verdanken. Wie so viele hochgestellte Menschen führte auch sie der Weg eines Tages zu uns ans Frische Haff. Schließlich wollte sie von Labiau quer über das Wasser bis nach Memel, doch es fand sich kein Boot oder Kahn weit und breit, der sie hätte übersetzen können. Da nahm die Heilige Jungfrau eine Handvoll Steine und Sand und streute davon bei jedem Schritt vor sich aus. So ist das Wasser im Haff bis heute flach geblieben.«
»Herrlich!«, rief der Wirt mit leuchtenden Augen. Seine Gäste stimmten begeistert zu. Ermutigt von ihrem Erfolg, wollte Agnes gleich noch die Erklärung für den Namen der Marienfischchen hinzufügen, da tauchte unerwartet die Krügerin an ihrem Tisch auf.
»Was tust du da?«, herrschte sie ihren Mann an. »Das Fräulein ist nicht gekommen, um dir Geschichten zu erzählen. Bier von der Streicherin sollst du bei ihr bestellen, und dann lass die Arme wieder gehen. Ihre Muhme wird sich fragen, wo sie so lange bleibt. Oder sollen etwa ihre nichtsnutzigen Mägde wieder brauen? Gnade uns Gott! Dann wird das Bier aus der Krummen Grube wieder bitter schmecken!«
»Verzeiht«, murmelte der dürre Wirt. »Ich wollte Euch nicht aufhalten.«
»Schon gut«, wiegelte Agnes ab. »Einen Gefallen aber könnt Ihr mir noch tun. Verratet mir bitte, wie ich von hier am schnellsten zur Altstädter Holzwiese gelange.«
»Was wollt Ihr dort?«, fragte die stämmige Wirtin verwundert. »Von den Brakern wird keiner eine Borte bestellt haben.«
»Ich soll dort eine Nachricht für meine Muhme bestellen«, log Agnes und schämte sich bereits ihrer Unaufrichtigkeit. Der Wirt indes war froh, ihr einen Gefallen tun zu können. »Am besten geht Ihr vor bis zur Brodbänkengasse und von dort nach Osten zum Dom. Haltet Euch links bis zur Schmiedebrücke, um zurück in die Altstadt zu gelangen. Von dort …«
»Ja, danke, jetzt weiß ich es wieder!«, fiel Agnes ihm ins Wort. »Danach gehe ich eine Weile am Pregel entlang, bis ich die Holzbrücke erreiche. Habt vielen Dank.« Sie knickste artig und brach auf.
Der Weg führte sie in eine ihr unbekannte Gegend des Kneiphofs. Häuser und Gassen wirkten viel vornehmer als die im Löbenicht. Nur vereinzelt fanden sich Werkstätten darin, auch der süßliche Geruch nach Malz war kaum zu erahnen. Stattdessen sah sie umso mehr Häuser mit blank polierten Schildern, die auf Kaufleute hinwiesen. Von der wochenlangen Belagerung durch die Kreuzherren waren kaum Spuren geblieben. Die Bürger waren bestrebt gewesen, diese rasch zu beseitigen. Es fiel auf, wie viel Büttel Wache gingen. Sogar einige Söldner der
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