Gold und Stein
Ordensritter kamen ihr schwer bewaffnet und mit grimmiger Miene entgegen. Sobald sie sich jemandem näherten, wechselten die Kneiphöfer die Straßenseite und verweigerten ihnen den ehrfürchtigen Gruß. Diese bedrohliche Stimmung behagte Agnes nicht. Erst, als sie die beiden Türme des trutzigen roten Backsteindoms am Ende der Gasse aufragen sah, wurde ihr wohler. Auf dem breiten Vorplatz hielt sie sich links, um zur Schmiedebrücke zu gelangen.
Eine Weile verharrte sie am Flussufer. Ein tiefblauer Spätsommerhimmel wölbte sich über die Stadt, die Sonne wärmte kräftig. Kein Wunder, dass das Wasser im Neuen Pregel von der ungewöhnlichen Hitze mitten im September brakig roch. Seit Wochen war der Wasserstand niedrig. Das erinnerte Agnes an die dürren Sommer in Wehlau. Oft waren Alle und Pregel nahezu ausgetrocknet gewesen. Die ersten Fischer in Königsberg klagten über spärliche Fänge. Ebenso sorgten sich die Schiffer, wie lange sie den Fluss noch befahren konnten. Nach der langen Blockade bei Wehlau waren sie mehr als sonst darauf angewiesen, die Boote von Litauen herüber zügig flussabwärts zu bringen.
Mit der flachen Hand schirmte Agnes die Augen gegen die Nachmittagssonne ab. Sie liebte es, das goldene Glitzern auf dem Wasser zu beobachten. In Wehlau war sie nicht oft an den Ufern der Alle oder des Pregels gewesen. Des moorigen Umlands wegen hatte man die Stadt ein gutes Stück abseits der beiden Flussläufe angelegt. Wie es Gunda und Lore wohl erging? Meister Friedrichs Erzählung über die fröhlichen Siegesfeiern kamen ihr wieder in den Sinn. Wäre es nicht besser, den beiden doch eine Nachricht zu schicken? Dann aber bestand die Gefahr, dass Gunda nichts Eiligeres zu tun hatte, als sie nach Hause zu holen und mit Kollmann zu verheiraten. Um weiteren Grübeleien zu entfliehen, wandte sie sich flussaufwärts der Holzbrücke zu.
Noch bevor sie den Brückenkopf erreichte, erspähte sie einen Burschen mit dunkelblondem Haar, schwarzem Barett und weißem Halstuch. Angeregt redete er auf einen anderen ein, wippte auf den Fußspitzen. Agnes’ Herz machte einen freudigen Satz: Das war Caspar! Ehe sie so recht zu suchen begonnen hatte, hatte sie ihn bereits gefunden. Gerade holte er mit den Armen aus, um seinem Gegenüber etwas zu erklären. Genau konnte sie sich vorstellen, wie sein Antlitz dabei aussah: die Augenbrauen eng zusammengezogen, die leicht wulstigen Lippen zu einem geraden Strich verzogen. Sie schmunzelte. Ihre Finger glitten zum Hals, spielten mit den Enden des Tuchs. Unschlüssig, ob es schicklich war, einfach zu ihm zu gehen und ihn anzusprechen, oder ob sie sich doch besser zurückhalten und hoffen sollte, er würde sie zuerst entdecken, verlangsamte sie ihre Schritte.
Den Blick auf Caspar gerichtet, kam ihr Laurenz in den Sinn. Auch er hatte sie auf den ersten Blick in Bann gezogen. Wie wundervoll er sie einst aus seinen verschiedenfarbigen Augen angeschaut hatte! Noch bei der bloßen Erinnerung überlief sie ein Schaudern. Schon meinte sie, den Duft seines Körpers zu riechen, die Wärme seines Atems auf der Haut zu spüren. Inständig sehnte sie sich danach, ihm in die Arme zu fallen, sein geliebtes Gesicht mit Küssen zu bedecken, den Blick seines blauen und grünen Auges in sich aufzusaugen. Ihr wurde heiß. Die Finger fuhren unter dem Halstuch die Linien ihres Feuermals im Nacken entlang. Sie sollte umkehren und davonrennen, noch hatte Caspar sie nicht gesehen. Die Beine wurden ihr schwer. Sie kam nicht von der Stelle.
Caspar drehte den Kopf. Über sein Gesicht huschte ein Lächeln. Seine Finger glitten zum Hals, rückten das Tuch zurecht, verharrten im Nacken. Sie lachte auf.
»Agnes!«, rief er und lief ihr entgegen. »Welch freudige Überraschung, Euch wiederzusehen, meine Liebe. Schon habe ich befürchtet, Euch verloren zu haben. Doch nun steht Ihr leibhaftig vor mir. Das lässt mein Herz überlaufen vor Glück!«
Er fasste sie bei den Händen und strahlte sie an. Seine bernsteinfarbenen Augen glänzten. Wieder überkam sie das Gefühl des innigen Vertrautseins, als kenne sie ihn seit Anbeginn ihres Lebens.
»Welch schönes Fräulein hast du da erobert? Willst du uns nicht vorstellen?« Der Bursche, mit dem er sich so angeregt unterhalten hatte, trat zu ihnen und betrachtete Agnes neugierig. Er war ähnlich gut gekleidet wie Caspar, trug allerdings einen dichten, rotgefärbten Bart. Das ließ ihn um einige Jahre älter wirken. Dafür kippte seine Stimme noch auffällig
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