Gold und Stein
Zipfeln ihres Halstuchs, auch er reckte unwillkürlich die Hand zu seinem Hals.
»Wer ist da?«, rief es aus der Werkstatt. Neugierig schoben sich die Gesichter der Muhme und der Mägde in die Diele.
»Oh, lieber Fischart! Was verschafft uns die seltene Ehre?« Geschäftig trat Agatha in die Diele. »Möchtet Ihr neue Borten für Eure verehrte Frau Mutter bestellen? Die letzten drei haben ihr wohl gut gefallen.«
»Nein, nein. Es ist, also ich wollte …« Mehr als ein Stottern brachte er nicht zustande.
»Ihr wolltet?«, half die Muhme mit einem aufmunternden Lächeln. Zugleich scheuchte sie die beiden Mägde zurück in die Werkstatt und schloss die Tür. Caspar dankte ihr mit einer Verbeugung.
»Ich wollte, also ich bringe Euch …«, stammelte er, um nach einem tiefen Luftholen hastig fortzufahren: »Hier ist das restliche Geld, das meine Mutter Euch noch für die Goldfäden schuldet. Sie hat wohl eingesehen, dass sie Euch zu Unrecht bezichtigt hat, zu wenig davon eingewebt zu haben. Bitte verzeiht. Die Sorge um meinen Vater, der vor einiger Zeit nach Riga aufgebrochen …«
»Lasst gut sein, mein Lieber.« Bestimmt wehrte Agatha die Münzen ab. »Ich weiß, welche Nöte Eure verehrte Frau Mutter derzeit plagen. Versichert sie meiner aufrichtigen Anteilnahme. Die Münzen aber tragt bitte zu den Beginen im Kneiphof. Die guten Damen werden damit eine Wohltat auszuführen wissen. Am besten, Ihr geht gleich zum Dom und übergebt den frommen Frauen das Geld. Agnes wird Euch begleiten. Ein Gang an der frischen Luft wird ihr guttun.«
»Aber heute ist Brautag. Es steht viel Arbeit an«, erhob Agnes zaghaft Einspruch.
»Mach dir keine unnötigen Gedanken, Liebes«, winkte die Muhme ab. »In den letzten Wochen habe ich dir oft genug über die Schulter gesehen. Es wird Zeit, dass ich es wieder einmal allein versuche. Schließlich wirst du nicht für alle Zeit bei mir im Hause bleiben.«
»Wie Ihr meint«, beeilte sich Agnes zu versichern. Trotz aller Freude über den unverhofften freien Tag fühlte sie Enttäuschung in sich aufsteigen. Über kurz oder lang bedurfte Agatha ihrer Hilfe also nicht einmal mehr beim Brauen.
»Ihr seid zu gütig.« Verlegen drehte Caspar das schwarze Barett in Händen, bis Agnes sich anschickte, dem Vorschlag der Muhme endlich Folge zu leisten und zur Tür zu gehen. Zum Abschied verbeugte er sich und folgte Agnes nach draußen.
Bis zur Löbenichter Langgasse liefen sie schweigend nebeneinander her. Unauffällig beäugte Agnes Caspar von der Seite, sogleich fiel ihr wieder der auffällige Buckel an der Nasenwurzel auf, das unruhige Zucken um seine Mundwinkel. Wärme durchflutete sie. Wie ungelenk und jung er noch war! Das festzustellen besserte ihre Laune merklich.
Deutlich hatte der Herbst inzwischen Einzug in der Stadt gehalten. Gelbbraunes, trockenes Laub wehte von Wäldern und Gärten in die Gassen herein. Bei jedem Schritt knirschte es unter den Füßen. Auch die Farben der Blumen waren von der verschwenderischen Leuchtkraft des Sommers in die milderen Töne des Herbstes übergegangen. »Ein Gruß der Liebe«, riefen die Mädchen, die die bunten Sträuße an den Straßenecken feilboten und den Vorübereilenden entgegenstreckten. Bauersleute versuchten nicht minder aufdringlich, die Ausbeute ihrer letzten Ernte loszuwerden. Der süßliche Geruch des überreifen Obstes lockte Fliegen und Wespen. Ihrem schwerfällig gewordenen Tanz in den Lüften war anzusehen, dass sie bald in der Kälte erstarren würden. Viel zu leicht ließen sie sich von einer einzigen Handbewegung aus der Bahn werfen. In den weit offen stehenden Werkstätten und Stuben wurde fieberhaft an den Vorräten für den Winter gearbeitet. Fässer wurden mit saurem Kraut und Bohnen gefüllt, Erbsen, Nüsse, Pflaumen und Kräuter zum Trocknen auf die Böden gebracht, ebenso schafften die Frauen und Mägde Obst zum Einlagern in die Keller. In allen Winkeln herrschte emsiges Treiben, als rechneten die Löbenichter damit, schon am nächsten Tag einem unerbittlichen Winter gegenüberzustehen.
»Wie kommt es, dass deine Mutter sich eines Besseren besonnen hat und das restliche Geld für die Borten schickt?«, fragte Agnes, sobald der Mälzerbrunnen am Markt ins Blickfeld rückte. »Sie schien mir nicht die Frau, die ihre eigenen Entschlüsse …«
»Warum weist deine Muhme es zurück und will es lieber den Beginen spenden? Hat sie etwas gegen meine Mutter?«
Überrascht von Caspars Reaktion blieb Agnes stehen und
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