Gold und Stein
»Nie und nimmer ist der Tag gekommen, an dem ich mir anmaßen würde, auf Eure geschätzten Dienste zu verzichten!«
Kaum ausgesprochen, erschrak sie über ihre eigenen Worte. Wie konnte sie nur so töricht sein? Seit Jahren richtete sich ihr gesamtes Trachten darauf, die Hundskötterin dazu zu bringen, von sich aus auf weitere Dienste zu verzichten. Wie hatte sie darunter gelitten, jahraus, jahrein unter ihren böse funkelnden Augen die scheußlichen Tinkturen zu schlucken und sich die gehässigen Bemerkungen über ihr klägliches Scheitern beim Gebären anhören zu müssen. Wie innig hatten Gernot und sie den Tag herbeigesehnt, an dem sie gewiss sein konnten, die schändliche Klepperin würde sich ein für alle Mal mit dem bereits Bezahlten zufriedengeben und ihnen hoch und heilig versprechen, für immer über das zu schweigen, was vor mehr als siebzehn Jahren geschehen war. Nun, da sie dazu aus eigenen Stücken bereit war, hielt ausgerechnet Editha selbst sie davon ab! Verblüfft fasste sie sich an die schweißnasse Stirn. Schwindel erfasste sie. Ihr wurde flau, die Knie sackten ihr weg. Im letzten Moment sank sie wieder auf den dreibeinigen, schiefen Schemel und kauerte sich abermals wie ein Häufchen Elend vor der kräftigen Hebamme zusammen. Die Hundskötterin konnte sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.
»So soll ich Euch also auch fürderhin als Wehmutter beistehen?«, fragte sie. »Nun gut, meine Liebe, unserer jahrelangen Freundschaft wegen. Dazu aber, das werdet Ihr verstehen, brauche ich Eure Zusage, dass Ihr der Gutloff gleich nachher noch Bescheid schickt …«
»Ja, ja, natürlich! Auf die Dienste dieser unglückseligen Begine werde ich selbstverständlich verzichten. Unglaublich, dass sie mir verschwiegen hat, was sie in Heiligenbeil an Unheil gestiftet hat! Wie gut, dass Ihr mir die Augen geöffnet habt, welcher Betrügerin ich beinahe die kostbare Frucht meines Leibes anvertraut hätte!«
Erschöpft wischte sich Editha die feuchten Wangen. Ihre Hände zitterten. Unfähig, sie von neuem zu Fäusten zu ballen, barg sie sie in ihrem Schoß. Verdutzt hörte sie sich reden. Die Worte standen ihrem eigentlichen Willen völlig entgegen, entschlüpften aber dennoch willfährig ihrem Mund. Eine ungeheure Angst stieg in ihr auf, zugleich spürte sie das unsägliche Verlangen, den Kopf zur Seite zu neigen und Schutz suchend gegen den Schoß der hinterfotzigen Hundskötterin zu pressen.
»So ist es recht, meine Liebe«, flüsterte die Hebamme und strich ihr sanft übers Haupt. Editha entfuhr ein wohliges Grunzen. Sie rieb den Kopf gegen Hermines stämmige Schenkel und genoss die Geborgenheit. Träge schweifte der Blick ihrer halbgeschlossenen Augen umher, nahm dabei verwundert wahr, wie die Hundskötterin den rußigen Dampf aus einem flachen Gefäß mit der freien Hand in ihre Richtung wedelte. Als sie ihn einsog, breitete sich die wohlige Mattigkeit stärker in ihr aus.
»Vertraut mir nur, liebe Fischartin«, klang es aus weiter Ferne an ihr Ohr. »Nie und nimmer lasse ich Euch im Stich. Schließlich wissen wir beide, was es für Euch heißt, dass Gundas Tochter nach all den Jahren bei uns aufgetaucht ist. Eins steht fest: Wo das Mädchen ist, da ist auch Gunda nicht weit.«
»Was?« Abrupt zerriss der Nebelschleier um Edithas Schädel. »Gunda ist tatsächlich zurückgekommen? Habt Ihr sie gesehen?«
»Regt Euch nicht auf!«, versuchte die Hundskötterin, sie zu beschwichtigen. »Gerade weil Gunda zurück ist, heißt es, Ruhe zu bewahren.«
Doch Editha war vollends aufgewacht. Eine unerwartete Kraft beseelte sie. Sie bleckte die Lippen, reckte das Kinn kampfesmutig. Mehr und mehr übernahm ihr eigener Wille wieder die Herrschaft.
»In keinem Fall dürft Ihr überstürzt handeln, Fischartin. Das hieße am Ende, genau das Falsche zu tun.«
»Danke für Euren Rat«, erwiderte Editha spitz. »Da wäre ich von selbst kaum drauf gekommen.«
»Ich weiß, meine Liebe, ich weiß«, lenkte die Hundskötterin ein.
»Ob Ihr wirklich so viel wisst, bezweifle ich sehr, meine Liebe.« Mit jeder Silbe fühlte Editha die träge Mattigkeit aus allen Fasern ihres Leibes entschwinden. Prüfend ballte sie die Fäuste. Auch das gelang ihr wieder. Herausfordernd blitzte sie die Hebamme an. »Nicht einmal Eure Kräuter scheinen heute bei mir die richtige Wirkung zu entfalten.«
Mit dem Kinn nickte sie verächtlich auf das weiterhin stark rußende Schälchen. Ohne ein Zeichen von Verlegenheit bedeckte die
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