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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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hatte sie zumindest letztens gemacht, als Agnes ihr die Borten der Muhme überbracht hatte. War er deshalb doch eher ihr eigen Fleisch und Blut statt Gundas? Agnes wurde unsicher. Nein, das konnte nicht sein. Die Form von Caspars Nase sprach dagegen. Eindeutig rührte die von Lore her. Ebenso wies ihn das Feuermal im Nacken als ihren Bruder aus. Und sie war ganz sicher Gundas Tochter. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen beiden konnte jeder auf Anhieb feststellen. Wie oft schon war sie darauf angesprochen worden! Dank desselben Feuermals stand also zumindest fest, dass sie und Caspar einen gemeinsamen Vater hatten. Nur, wer ihre wirkliche Mutter war, darüber stritten sich zwei Frauen. Verrückt! Eigentlich hieß es immer, die Mutter der Kinder wäre sicher. Je länger Agnes darüber nachsann, desto weniger verstand sie Gundas Verhalten. Warum kämpfte sie nicht entschiedener um ihren Sohn? Wie konnte sie nur zulassen, dass Caspar der Fischartin so nahegekommen war? Und was ging überhaupt in der Fischartin vor? Ahnte sie, wer Agnes war?
    Unwillkürlich fuhren ihre Finger unter das Halstuch, strichen sacht über die rauhe Haut des Feuermals. Unruhe erfasste sie. Es hielt sie nicht mehr auf der Wiese. Sie sprang auf, zog die Schuhe an, äugte noch einmal zu den Mägden am Waschplatz.
    Zwei weitere waren dazugekommen. Sie standen ebenfalls bis zu den Knien im Wasser. Singend klatschten sie die Leintücher aufs Wasser, rieben, wrangen und scheuerten an den Wäschestücken, spritzten einander dabei immer wieder laut kreischend nass. Vom anderen Ufer rief jemand etwas herüber und winkte. Die Mägde wie Agnes wandten sich um und blickten zur Holzwiese.
    Als Agnes das Holz gewahrte, stutzte sie. Wie hatte sie das nicht früher erkennen können? Rehbinder hatte für die Mutter den Handel mit dem Eibenholz eingefädelt. Laut Caspar hatte das seinen Vater in Schwierigkeiten gebracht. Deshalb war er für einige Zeit nach Riga gereist, was wiederum die Fischartin in große Aufregung versetzte. Auf einmal durchschaute Agnes Gundas Plan. Wie hatte sie sie nur derart unterschätzen können? Es ging ihr nicht im Geringsten um Rache für die einst geplatzte Verlobung. Es war etwas weitaus Schwerwiegenderes: Seit Jahren war ihr bekannt, dass Fischart und seine Frau ihren Sohn großzogen! Welch bittere Erfahrung, den Sohn ausgerechnet im Haus des Mannes zu wissen, der ihr einst eine große Schmach zugefügt hatte. Noch schlimmer: ihn am Busen der Frau zu sehen, die an ihre Stelle getreten war. Wie lange schon wartete Gunda auf die Gelegenheit, sich dafür an den beiden zu rächen? Wahrscheinlich hatte Fröbel sie davon abgehalten. Er war zu edel gewesen, um an die Kraft der Rache zu glauben. Erst sein Tod ermöglichte es Gunda, solche Pläne zu schmieden. Was aber hatte sie vor? Und wie hatte es überhaupt so weit kommen können, dass man ihr den Sohn weggenommen und ihren vermeintlich ärgsten Feinden überlassen hatte?
    Agnes raffte den Rock und rannte los, scheinbar ähnlich kopflos wie vorhin, als sie vor Caspar geflohen war. Dieses Mal jedoch wusste sie genau, wo sie hinlaufen und was sie tun musste.

22
    E ine Weile konnte sich Gunda nicht vom Fleck bewegen. Das, was sie da gerade kaum zwei Armlängen von ihrem Versteck entfernt erlebt hatte, raubte ihr die Sinne: Agnes und Caspar eng umschlungen mitten auf der Straße! Auf Anhieb hatte sie den Jungen erkannt. Dabei hatte sie ihn vor siebzehn Jahren zum letzten Mal gesehen, nur wenige Tage nach seiner Geburt. Die Ähnlichkeit mit dem jungen Gernot war verblüffend. Es bestand kein Zweifel, dass er ihr Sohn war. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Seit sie Agnes im Löbenicht wusste, fürchtete sie, dass die beiden einander begegneten. Wie recht hatte Lore gehabt, noch auf dem Sterbebett darauf zu dringen, dass sie Agnes reinen Wein einschenkte. Die erste Gelegenheit hatte sie letztens gründlich verdorben. Und nun das! Die Knie wurden ihr weich, ihr Leib zitterte heftig. Kläglich hatte sie versagt. Leider nicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Zum Glück stand sie an eine Hauswand gelehnt. Erschöpft schloss sie die Augen. Vor ihrem inneren Auge brach sich ein lang verdrängtes Bild Bahn: sie im Bett, in der Armbeuge ein winziges Kind. Schutzsuchend schmiegte sich der kleine Körper gegen ihren Leib. Die wohltuende Wärme spürte sie bis zum jetzigen Tag, ebenso meinte sie immer noch den unverwechselbaren Geruch des Kleinen in der Nase zu haben. Dann aber war da auf einmal nur noch

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