Gold und Stein
Leibhaftige, und hast dich nicht einen Deut darum geschert, was mit mir ist. Jetzt aber habe ich anderes zu tun. Verzeih.«
Er wollte die Tür vor ihrer Nase schließen. Sie stemmte sich dagegen. Die Tür war schwer, Caspar nicht minder entschlossen als sie. Nach einigem Gerangel blieb ein schmaler Spalt, durch den sie ihn anschauen konnte. Aus dem Innern des Hauses wehten laute, aufgebrachte Stimmen zu ihnen. Agnes horchte auf. Es handelte sich um zwei Frauenstimmen, besonnen versuchte eine dunkle Männerstimme zu schlichten. Angestrengt spitzte Agnes die Ohren. Caspar wurde unruhig, blickte mehrmals über die Schulter nach drinnen.
»Was ist los bei euch?«
»Nichts, nichts«, beeilte er sich zu versichern und versuchte von neuem, die Tür zu schließen. Wieder konnte sie das verhindern. Zur Sicherheit schob sie den Fuß zwischen Türflügel und Türstock.
»Glaub mir, Caspar: Das, was ich dir zu sagen habe, ist für dich und deine Eltern so wichtig wie nichts sonst auf der Welt. Es betrifft eure Geschäfte, eure Zukunft als Kaufleute in Königsberg.«
»Du übertreibst! Was weißt du überhaupt von unseren Geschäften?« Mit einem Mal wirkte er verunsichert. Für einen Moment war er unachtsam, ließ den Türflügel los. Agnes nutzte die Gelegenheit und stieß ihn auf. Caspar erschrak und versuchte, seinen Fehler wettzumachen, indem er ihr den Durchgang verwehrte. Breitbeinig stellte er sich vor sie hin. Sie reckte sich, wollte über seine Schultern nach drinnen linsen. Die Stimmen waren leiser geworden. Offenbar kamen sie aus dem Obergeschoss. Anscheinend stritt seine Mutter mit jemandem.
»Agnes, versteh doch: Es passt jetzt einfach nicht«, verlegte er sich aufs Flehen. »Komm später wieder. Wie wäre es mit heute Nachmittag? Jetzt muss ich mich mit meiner Mutter um dringende geschäftliche Belange kümmern.«
Wieder wollte er nach dem Türflügel greifen, doch Agnes kam ihm zuvor und schlüpfte unter seiner halberhobenen Hand hindurch.
»Agnes, bitte!«, rief er, doch sie achtete nicht auf ihn. Ihr erstes Ziel war erreicht: Sie war drin.
Allerdings begann damit der weit schwierigere Teil. Sie musste Caspar mit einer schrecklichen Wahrheit konfrontieren. Diejenigen, die er für seine Eltern hielt, waren nicht seine wahren Eltern. Agnes mochte sich nicht vorstellen, das am eigenen Leib zu erfahren. Zwar hatte sie ihren leiblichen Vater nicht gekannt und erst vor kurzem überhaupt seinen Namen erfahren, doch Fröbel hatte das mit seiner Vaterliebe mehr als wettgemacht. Gundas Mutterschaft stand ohnehin nie in Frage, ganz gleich, wie unnahbar sie schien.
Verlegen wanderte ihr Blick umher. In der dämmrigen Diele herrschte eine bedrückende Atmosphäre. Die Ablader und Schreiber hatte man offenbar mitten in ihrer Tätigkeit fortgeschickt. Ein halb mit Fässern beladenes Fuhrwerk stand unter einem der Kreuzgewölbe, dicht umringt von weiteren Fässern. An der rückwärtigen Wand lagen leere Säcke. Ein muffiger Geruch hing in der Luft, als hätte für längere Zeit die Kellertür offen gestanden. Neben den Säcken lehnte die große Schiefertafel an der Wand, auf der der Schreiber mit weißer Kreide die Anzahl der Fässer und Säcke zu notieren begonnen hatte. Mitten in der Auflistung hatte er abgebrochen. Agnes ahnte Unheilvolles. Angesichts des Krachs aus dem oberen Stockwerk behagte ihr die Stille in dem weitläufigen Raum ganz und gar nicht.
»Wo sind eure Männer? Warum arbeitet niemand? Es ist mitten am Tag.«
»Die Männer haben auf der Holzwiese zu tun.«
»So plötzlich?« Agnes nickte in Richtung des halb auf- oder abgeladenen Wagens. Caspar überging das und tat, als müsste er auf dem Pult nach Papieren suchen. »Was ist mit deiner Mutter? Ich dachte, ihr beide seid dabei, Geschäftliches zu regeln. Sie scheint oben jedoch mit anderen …«
»Sie wartet dringend auf mich«, erwiderte Caspar. »Ich suche nur nach einem Brief, dann muss ich wieder zu ihr.«
Die Stimmen im oberen Geschoss wurden wieder laut. Von neuem versuchte Agnes, Genaueres herauszuhören. Wieder gelang es ihr nicht.
»Deine Mutter ist wohl nicht allein. Also kann sie gut noch eine Weile auf dich warten. Lass uns die Gelegenheit nutzen und hier unten in aller Ruhe ungestört miteinander …«
Ein erboster Aufschrei oben ließ sie beide zusammenfahren. Erschrocken richteten sie die Blicke zur Decke.
»Du hörst es. Ich muss sofort hinauf. Meine Mutter braucht mich. Es geht ihr nicht gut. Sie regt sich viel zu sehr auf.
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