Gold und Stein
selbst: Ich sollte Königsberg nicht so schnell verlassen. Meine Tochter braucht mich hier.«
»Pah!«, fuhr die Fischartin auf. »Wenn Ihr damit die Kleine dort vorn meint, kann ich Euch versichern, die kommt sehr gut allein klar. Vor allem ohne Euch.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«
»Das spüre ich hier drinnen!« Sie schlug sich die rechte Hand aufs Herz. »Seit sie mir zum ersten Mal gegenübergestanden ist, wusste ich, was ich von ihr zu halten habe.« Sie schenkte Agnes einen vieldeutigen Blick, der sie verwirrte.
»Ausgerechnet Ihr wollt das spüren?« Gundas Ton war höhnisch. »Bislang habt Ihr Euch doch noch nie Gedanken darum gemacht, was in Euren Mitmenschen vorgeht.«
»Bislang stand mir auch noch nie jemand wie sie gegenüber!«
»Verzeiht«, nutzte Rehbinder ein kurzes Luftholen der beiden Frauen, um sich abermals zu Wort zu melden. »Alles Weitere regelt Ihr wohl besser ohne mich. Falls Ihr, liebe Fröbelin, es Euch anders überlegt und mit mir reisen wollt, gebt mir Bescheid. Ihr könnt auch weiterhin fest auf mich zählen.«
»Good grief!«,
stöhnte die Fischartin und presste sich die Hände auf den Leib. Gunda warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
»Gehabt Euch wohl, meine Liebe.« Rehbinder streckte Gunda die Hand entgegen. Einen Moment sah es so aus, als wollte er sie mit sich fortziehen. Dann jedoch ließ er den Arm sinken, grummelte etwas Unverständliches in sein Doppelkinn und eilte zur Tür. Die alte Anna nutzte die Gelegenheit, sich ebenfalls davonzustehlen.
Eine bedrückende Stille senkte sich über die Stube. Caspar überfiel die übliche Verlegenheit. Unschlüssig fingerte er an seinem Halstuch herum. Agnes verfolgte, wie Gunda ihn betrachtete. Bildete sie es sich ein oder leuchtete bei seinem Anblick etwas in ihren Augen auf? Die Fischartin dagegen kniff verbissen die Lippen zusammen und ballte die kleinen Hände vor sich auf der Tischplatte zu Fäusten.
»Was wird hier eigentlich gespielt?«, fragte Caspar leise und sah erst auf seine Mutter, dann auf Gunda und zuletzt auf Agnes. »Die Geschichte mit dem litauischen Eibenholz ist die eine Sache. Darüber hat uns Rehbinder eben ausführlich in Kenntnis gesetzt. Ihr, liebe Fröbelin, seid also der rätselhafte Wehlauer Kaufmann, der aus unerfindlichen Gründen allein mit meinem Vater den Handel abschließen wollte. Was Ihr damit im Schilde führt, werdet Ihr uns hoffentlich noch verraten. Vorerst aber ist das zweitrangig, da die Wehlauer ohnehin die Lieferungen aus Litauen zurückhalten. Dafür steht plötzlich eine weitere Neuigkeit im Raum: Agnes ist Eure Tochter. Warum erfahren wir das ausgerechnet jetzt und nicht etwa von dir, liebe Agnes, oder von Euch, liebe Fröbelin, sondern ebenfalls aus dem Mund von Rehbinder?«
Er hielt inne, sah erst Gunda, dann Agnes vorwurfsvoll an. Seine Stimme zitterte, als er weitersprach: »Ihr wolltet uns das gar nicht sagen, nicht wahr? Du, liebe Agnes, hast mit Absicht meine Nähe gesucht. Du wolltest mich ausfragen und hinhalten, um deine Mutter mit Informationen über uns zu versorgen. Unfassbar! Sag mir die Wahrheit, Agnes. Nach allem, was heute vorgefallen ist, bist du mir eine ehrliche Erklärung schuldig.«
»Eine Erklärung für ihr Verhalten ist unsere kleine Freundin auch mir schuldig«, meldete sich die Fischartin zu Wort. »Mich hat sie schließlich ebenso getäuscht wie dich, mein lieber Sohn. Doch wer weiß, was uns noch erwartet. Mir ist, als lägen längst nicht alle Karten offen auf dem Tisch.«
Jäh erfasste sie ein weiterer Krampf. Ihre Hände glitten zum Unterleib, pressten sich fest dagegen. Ihr rundes Gesicht verfärbte sich gefährlich grün. Sie würgte und schluckte, krümmte sich auf ihrem Stuhl.
»Mutter!« Besorgt stürzte Caspar zu ihr, fasste sie an den Schultern. Dabei warf er Agnes einen Blick zu, der sie zu Tode erschreckte.
Wie bei ihrem ersten Besuch im Haus spürte sie, dass ihn etwas ganz Besonderes mit der Fischartin verband. Die Frau, die er für seine Mutter hielt, würde er mit allen Mitteln verteidigen, ebenso wie sie für ihn unter Einsatz all ihrer Kräfte in die Bresche sprang! Agnes zauderte. Tat sie das Richtige, wenn sie ihm gegenüber auf der Wahrheit bestand? Machte das alles nicht schlimmer? Vielleicht wollte Gunda gar nicht, dass Caspar erfuhr, wie sie in Wahrheit zueinander standen.
24
W ährend Agnes noch mit sich rang, wusste Gunda bereits, was zu tun war.
»Regt Euch nicht auf!«, versuchte sie, die Fischartin zu beruhigen,
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