Gold und Stein
und setzte ihr von neuem den Becher mit Bier an die Lippen.
»Was ist denn hier los?«
Plötzlich stand eine fremde Frau mitten in der Stube. Sie war von beeindruckender Statur. Sowohl die Ausmaße ihres Leibes als auch ihr Auftreten hatten etwas Grobes an sich. Das blonde Haar streng unter die Haube gekämmt, waren die schmalen Augenbrauen kohlenschwarz. Vorwurfsvoll funkelten die grünen Augen in die Runde. Das Auffälligste an ihrem Antlitz waren jedoch weder die breite, flache Nase noch das massige Kinn, sondern die blitzend weißen, geraden Zähne. Bei jeder Silbe leuchteten sie im Mund auf.
Als wäre allein das Auftauchen der Fremden ein Heilmittel, löste die Fischartin die Hände von ihrem Leib und kam wieder in die Aufrechte. Auch die Farbe ihrer Wangen veränderte sich schnell. In wenigen Schritten stand die Unbekannte bei ihr und klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken, woraufhin der Fischartin ein erleichtertes
»Thank goodness!«
entfuhr.
»Gut, dass Ihr gekommen seid, liebe Hundskötterin.« Auch Caspar atmete auf. »Meine Mutter kann Euren Beistand dringend gebrauchen.«
»Das sehe ich«, erwiderte sie.
Das war also die Hebamme, die Caspar vorhin erwähnt hatte. Agnes gedachte mit Schrecken der Worte von Agathas Mägden. Sonderlich vertrauenserweckend hatten die nicht geklungen.
»Wie schön, einmal aus Eurem Mund Freude über mein Kommen zu hören, liebe Fischartin!« Die Hundskötterin zog die rechte Augenbraue hoch und stemmte die riesigen Hände auf die fülligen Hüften. »Sonst habt Ihr eher tausend Flüche und böse Worte auf der Zunge, wenn Ihr mich begrüßt.«
Verdutzt bemerkte Agnes, wie die Fischartin ob dieser Zurechtweisung zusammenzuckte wie ein kleines Mädchen. Die Hebamme quittierte das mit einem zufriedenen Lächeln und säuselte fröhlich weiter: »Gut zu sehen, dass es Euch schon wieder bessergeht. Wollt Ihr mich nicht mit Eurem Besuch bekannt machen? Eine der beiden Damen kenne ich wohl noch aus lang vergangenen Tagen. Nicht wahr, meine liebe Gunda? Gewiss erinnert auch Ihr Euch noch an mich.«
Sie trat dicht vor die Mutter und spitzte genüsslich den Mund. Dabei musterte sie sie von oben bis unten. Über Gundas Gesicht huschte ein Schatten. Trotzig streckte sie den Rücken durch, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte der anderen herausfordernd entgegen. »Wer, meine liebe Hundskötterin, könnte Euch je vergessen? Egal, wo Ihr auftaucht, Ihr hinterlasst immer einen gewaltigen Eindruck. Bis an mein Lebensende bleibt Ihr in meinem Gedächtnis, dessen könnt Ihr gewiss sein.«
»Oh, das ist zu viel der Ehre.« Die Hundskötterin schlug die Hand vor die Brust und verneigte sich.
»Seid Ihr fertig mit Euren Artigkeiten?« Verärgert mischte sich die Fischartin ein. »Mir war so, als wolltet Ihr gerade gehen, Fröbelin. Auch die liebe Agnes wollte sich verabschieden. Geleite die beiden zur Tür, Caspar. Die Hundskötterin und ich haben Wichtiges miteinander zu besprechen.«
»Wie schade, meine liebe Fischartin, dass Ihr Euren Besuch schon fortschicken wollt. Das liegt hoffentlich nicht an meinem Auftauchen. Meinetwegen können die beiden Damen gern bleiben. Überlegt lieber, ob Ihr nicht die Gelegenheit nutzt und zu Ende bringt, was Ihr seit langem schon unbedingt zu Ende bringen wolltet.«
Die Hundskötterin schenkte der Fischartin ein verschwörerisches Lächeln. Agnes ließ es das Blut in den Adern stocken. Gunda entlockte es jedoch ein zustimmendes Auflachen. »Stimmt. Es wäre wirklich schade, meine Liebe, wenn wir uns jetzt, da wir endlich einmal alle beieinander sind, unverrichteter Dinge voneinander trennen würden. Dabei ist es eine ausgezeichnete Gelegenheit, reinen Tisch zu machen. Bis auf Gernot sind alle Beteiligten vollzählig vertreten, zumindest alle noch lebenden.«
»Was meint Ihr damit?« Das Antlitz der Fischartin verfärbte sich von neuem grünlich. In Erwartung eines neuerlichen Krampfes ballte sie die Hände zu Fäusten, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. Der Krampf blieb aus, die Fäuste aber ließ sie geballt.
»Jetzt reicht es!«, mischte Caspar sich ein. »Ihr seht doch, dass es meiner Mutter nicht gutgeht. Ihr, liebe Hundskötterin, seid ihre Hebamme und solltet das besser wissen als ich. Oder wollt Ihr riskieren, dass sie abermals ihr Kind verliert?«
»Ihr seid schwanger?« Gundas Stimme überschlug sich.
»Ja, damit hast du nicht gerechnet, was?« Auf einmal war die Fischartin wie verwandelt. Jäh richtete sie sich im
Weitere Kostenlose Bücher