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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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ins Wort, um schließlich kopfschüttelnd vor sich hin zu murmeln. »Jetzt wird mir klar, was Agnes vorhat.«
    »Was hat Agnes vor?« Eine böse Ahnung beschlich Editha.
    »Sagt, liebe Fischartin«, wie aus dem Nichts strahlte die Streicherin sie an, »wenn Ihr Gunda und Agnes letztens beide gemeinsam bei Euch zu Gast hattet, warum ist Euch da nichts aufgefallen?«
    »Was hätte mir da auffallen sollen? Ich war doch wie von Sinnen, Agnes nach all den Jahren wiederzusehen. Glaubt mir, in solch einer Lage steht einem der Sinn nicht danach, auf sonst etwas zu achten.« Editha schnaubte verärgert. Der lauernde Unterton der Streicherin war ihr nicht entgangen. Unwillkürlich fasste sie sich an den Hals, spürte die silberne Kette, ließ die Finger daran entlanggleiten. Mit einem Mal ahnte sie, worauf die Streicherin abzielte. Wohlige Ruhe breitete sich in ihrem Innern aus. Gemächlich zog sie sich wieder den Stuhl heran und setzte sich abermals darauf nieder.
    »Ich bin mir sicher, meine Liebe«, säuselte sie und lächelte die Bortenmacherin von unten herauf an, »Ihr habt die grenzenlose Güte und verratet mir, was mir angesichts der Aufregung um mein lang vermisstes Kind entgangen sein sollte.«
    »Aber gern doch, liebe Fischartin.« Die Streicherin rückte sich ebenfalls einen Stuhl am Tisch zurecht. »Ich bin mir sicher, wenn Agnes und Gunda dicht beieinanderstehen, sieht selbst ein Blinder, dass sie Mutter und Tochter sind. Die Ähnlichkeit ist einfach zu deutlich.«
    »Oh dear!«
Wie zufällig zog Editha das Medaillon aus ihrem Ausschnitt und betrachtete es eine Weile aufmerksam. »Ich weiß nicht, wann Ihr diese Gunda zuletzt gesehen habt. Mag sein, dass sie als Siebzehnjährige ähnlich glattes braunes Haar gehabt hat wie meine liebe Agnes. Auch sind beide einigermaßen groß. Doch schaut Euch selbst an! Wäre Euer Haar einen Ton dunkler und Eure Augenfarbe eindeutiger, könntet auch Ihr glatt als ihre Mutter gelten. Aber verzeiht, Ihr behauptet ja auch, Ihre Muhme zu sein.«
    Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, hielt sich das Medaillon nachdenklich vor die Augen. Dabei spähte sie unauffällig auf die Streicherin, bis sie sicher war, ihre volle Aufmerksamkeit für das Medaillon gewonnen zu haben.
    »Seht selbst!« Sie streckte ihr das Schmuckstück mit dem winzigen verblichenen Porträt unter die Nase. »Das ist meine Mutter in jungen Jahren. Als ich vor langer Zeit meine Heimat für immer verlassen habe, hat sie mir dieses winzige Bild von sich geschenkt. Findet Ihr nicht auch, das glatte braune Haar, die auffällig gerade, schmale Nase und der Ausdruck ihrer bernsteinfarbenen Augen ähneln Agnes sehr?«
    Schweigsam beobachtete sie, wie der vorhin noch so siegesgewisse Ausdruck auf dem Gesicht der Streicherin einer großen Ratlosigkeit wich.
    »Versteht mich nicht falsch«, fügte sie hinzu. »Natürlich weiß ich ebenso gut wie Ihr, wie wenig dieselbe Haar- und Augenfarbe oder gar derselbe Schwung der Nase bedeuten mögen, gerade wenn zwischen der Erinnerung und dem Jetzt eine so lange Zeitspanne liegt. Dieses Porträt hier«, sie klopfte auf das Medaillon, »weist ohnehin genug Spuren der Vergänglichkeit auf. Deshalb finde ich es umso aufschlussreicher, dass Agnes noch ein weiteres, untrügliches Zeichen aufweist: das Feuermal im Nacken. Das gleicht bis aufs Haar demjenigen meines Sohnes und dem meines Gemahls. Damit sind wohl alle Zweifel ein für alle Mal beseitigt, dass Agnes Gernots und meine Tochter ist.«
    Noch einmal betrachtete sie das Medaillon und verbarg es dann wieder in der Falte zwischen ihren Brüsten.
    »Es macht wohl wenig Sinn, Euch nochmals darauf hinzuweisen, dass Gunda kurz vor Eurer Heirat ebenfalls mit Gernot …«
    »For God’s sake!«
Verzweifelt rang Editha die Hände. »Ihr wollt doch nicht allen Ernstes behaupten, die Ärmste hätte ihrem damaligen Gemahl, dem braven Böttchermeister Kelletat, das Kind von Gernot unterschieben wollen? Wisst Ihr eigentlich, in welche Lage Ihr die Ärmste damit bringt? Selbst nach all den Jahren kann das für sie gefährlich sein. Vergesst nicht, der arme Kelletat ist kurz nach Gundas eigener glückloser Niederkunft auf höchst seltsame Weise zu Tode gekommen. Wer wollte verhindern, dass man noch einmal genauer nachfragt, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt? Ganz abgesehen davon, lebt zu meinem größten Bedauern wohl keiner mehr aus Gundas damaligem Haushalt, der sie in ihren Behauptungen unterstützen kann. Merkwürdig, dass sie

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