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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sich nur auf die Worte von Toten berufen kann. Die können sich leider kaum dagegen wehren, wenn ihnen Falsches in den Mund gelegt wird. Aber was kümmert es mich? Ich habe meine Tochter wiedergefunden! Das allein zählt. Auch wenn Ihr mir verschweigen wollt, wohin sie am Montag aufgebrochen ist und ob mein lieber Caspar sie auf der Reise begleitet, so werde ich sie doch bald wohlbehalten in die Arme schließen. Das, meine Liebe, sagt mir nämlich mein mütterliches Gespür.«

5
    D en ersten Teil der Strecke von Elbing nach Marienburg legten Agnes und Caspar schweigend zurück. Zwar gab es so vieles, was Agnes von ihrem endlich wiedergefundenen Bruder wissen wollte, doch sie tat sich schwer, einen Einstieg zu finden. Ihm schien es ähnlich zu ergehen. Mehr als einmal hörte sie ihn dicht hinter sich im Sattel tief Luft holen. Bevor die erste Silbe heraus war, ließ er das Reden jedoch bleiben. Sie tröstete sich: Noch lag ein stundenlanger Ritt vor ihnen. Gewiss würde sich eine günstige Gelegenheit ergeben, das Gespräch endlich zu beginnen.
    Zunächst führte die Straße sie westwärts aus der Stadt auf den Nogat zu. Bis dorthin waren es knapp zwei Meilen. Auch wer nach Danzig fuhr, nahm diese Strecke, um mit einer Fähre über den Fluss überzusetzen. Davon hatte Struth am Vortag gesprochen. Ab der Furt verlief der Weg nach Marienburg in südliche Richtung stromaufwärts. Die gesamte Ebene von Elbing bis Danzig war fruchtbares Schwemmland der Weichsel und des Nogats. Unzählige kleine Flüsse, Bäche und Gewässer durchzogen sie. Niedrige Sträucher wechselten sich mit lichten Wäldern ab, gelegentlich säumten einzelne Gehöfte den Weg. Außerhalb der Stadtmauern war der Nebel dichter, schob sich wie eine weiße Wand durch die Landschaft. Das spärliche Krächzen der Vögel sowie der Hufschlag des Pferdes hallten darin wider. Lange Zeit begegneten Agnes und Caspar niemandem. Die Fuhrwerke, die kurz nach Öffnen der Tore aufgebrochen waren, hatten einen gewaltigen Vorsprung und mochten längst jenseits des Nogats auf die Weichsel zuhalten.
    Es ging bereits auf Mittag zu, als Agnes und Caspar einen einsamen Wanderer überholten, der von einer schweren Kieze auf dem Rücken stark nach vorn gebeugt wurde. Grüßend hob er den Stock in der rechten Hand. Auf einmal wurde ein erstaunlich junges Gesicht unter der Gugel sichtbar. Agnes erschrak, merkte, wie auch Caspar zusammenzuckte. Offenbar befürchtete er dasselbe wie sie: dass der Mann in Wahrheit ein Räuber war, der ihrem Pferd gleich den Stock zwischen die Beine werfen würde, um es zu Fall zu bringen. Sie hielt den Atem an, Caspar presste die Schenkel gegen den Leib des Braunen, spornte ihn zum Traben an. »Recht habt Ihr!«, rief der Mann. »Reitet nur schnell weiter. Nicht, dass Euch zwielichtiges Gesindel auflauert.«
    Zu ihrer Erleichterung verharrte der Mann geduldig am Wegesrand, ohne ihnen etwas zu tun. Es dauerte noch eine Weile, bis Agnes aufhörte, argwöhnisch jeden Strauch zu beäugen, der in Sichtweite rückte. Das Pferd fiel wieder ins Schritttempo zurück. In Höhe eines Birkenwalds begegnete ihnen eine alte Frau. Sie führte eine magere Ziege neben sich, hatte auf deren Rücken einige Bündel Reiser gepackt. Kaum hob sie den Kopf, als sie an ihr vorbeiritten. Wenig später kam ihnen endlich ein Fuhrwerk entgegen. »Haltet Euch ran«, rief der Mann, der es lenkte. »Der Fährmann hat nicht viel Lust, allzu oft über den Fluss überzusetzen. Die Strömung ist stark. Dem hält sein morsches Floß kaum stand.«
    »Wir müssen nicht über den Fluss«, erwiderte Agnes, woraufhin Caspar ihr einen warnenden Stoß in die Seite versetzte. Sie begriff und schämte sich für ihre Fahrlässigkeit. Als die Begegnung ein gutes Stück hinter ihnen lag, schalt Caspar sie dafür. »Tut mir leid«, wandte sich Agnes über die Schulter zurück an ihn. Sein Gesicht erschien ihr seltsam verbissen. Es erforderte seine gesamte Aufmerksamkeit, das stämmige braune Pferd im Zaum zu halten. Trotz seiner Prahlerei, schon viel an der Seite seines Vaters gereist zu sein, erwies er sich als erstaunlich lausiger Reiter.
    »Wenn wir Glück haben, begegnet uns so schnell keiner mehr, dem du unsere Pläne verraten kannst«, entgegnete er schroff. »Die meisten werden wie Struth lange vor uns aufgebrochen sein. Bis uns aus der anderen Richtung die ersten entgegenkommen, dauert es noch.«
    »Das heißt aber auch, dass Räuber ein leichtes Spiel haben, wenn sie uns

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