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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Neugierig äugte sie hinein. Offenbar befand sich darin frischer Sud für Bier, doch damit kannte sie sich nicht aus. Gewiss würde Agnes gleich die Treppen hinunterspringen, sich eine Handvoll geheimnisvoller Zutaten schnappen und im Handumdrehen aus dem dunklen Saft ein wohlschmeckendes Bier zaubern. Wo steckte das Mädchen nur? Editha hob den Kopf und lauschte. Es war ungewöhnlich still in dem Haus. Kaum zu glauben, dass eine Bortenmacherwerkstatt mit zwei jungen Mägden und ein Haushalt mit einer Siebzehnjährigen derart ruhig sein konnte. Das beunruhigte sie, doch sie kam nicht dazu, lange darüber zu grübeln.
    »Gott zum Gruße, liebe Fischartin! Was verschafft mir die unerwartete Ehre?«, ertönte bereits die Stimme der Streicherin von der entgegengesetzten Seite der Diele. Mit ausgestreckter Hand kam sie näher. Editha reckte das Kinn.
    »Wo steckt mein Sohn?« Streng glitt ihr Blick über die Bortenmacherin, die sie seit Monaten nicht gesehen hatte. Sie war mehr als einen Kopf größer als sie und höchstens halb so breit. Die Flügelhaube trug sie weit in die Stirn gezogen. Ein winziges Stück von einem dunklen Mal an der linken Stirnseite blitzte dennoch hervor. Das Beunruhigende an der Streicherin waren jedoch die verschiedenfarbigen Augen. Der seltsame Blick war kaum auszuhalten. Editha presste die Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Die Kraft, die die Hundskötterin ihr mit ihren eindringlichen Worten eingeflößt hatte, musste von neuem beschworen werden. »Wo ist Caspar?«
    »Woher soll ich das wissen?« Langsam zog die Streicherin die Hand zurück. »Vorige Woche Mittwoch habe ich Euren Sohn zuletzt gesehen. Da kam er in Eurem Auftrag zu mir, um den noch ausstehenden Betrag für die Borten zu begleichen. Da ich nicht mehr damit gerechnet habe, den vollen Preis zu erhalten, habe ich ihn gebeten, das Geld den Beginen im Kneiphof zu spenden. Das war hoffentlich ganz in Eurem Sinn.«
    Ihr Lächeln war betont süß. Ob sie etwa von der Hebamme Gutloff etwas über ihren Zustand erfahren hatte?
Holy cow!
Editha musste an sich halten, ihr nicht verärgert über den Mund zu fahren.
    Die Streicherin bemerkte das, legte den Finger an die Lippen und fügte hinzu: »Entschuldigt, da habe ich mich wohl geirrt. Montagmittag ist er noch einmal bei mir gewesen. Tut mir leid, nicht gleich daran gedacht zu haben. Seit Agnes fort ist, muss ich mich um so vieles kümmern, was sie vorher für mich erledigt hat, da gehen mir so manche Dinge einfach durch.«
    »Agnes ist fort? Seit wann?«
    »Seit Montag.«
    »Good gracious!«
Editha meinte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Wohin?«
    »Zu ihrer Mutter.«
    »Das ist nicht wahr! Nie und nimmer ist sie zu ihrer Mutter unterwegs.«
    Rücklings tastete Editha nach einem Stuhl, ließ sich langsam darauf nieder. Ein Ziehen in ihrem Unterleib erschreckte sie. Sie presste die Hände darauf, behielt die Streicherin allerdings genau im Blick. Vielleicht hätte sie die Tropfen vorhin doch noch einmal nehmen sollen.
    »Woher wollt Ihr das wissen?« Ungerührt baute sich die schlanke Frau abermals nah vor ihr auf. »Weder kennt Ihr Agnes’ Mutter, noch wisst Ihr, wo sie wohnt.«
    »
Tricky cow!
Und ob ich sie kenne!« Wütend schlug Editha mit der Faust auf den Tisch. Ein neuerlicher Schmerz im Leib krümmte sie zusammen. Kurz schloss sie die Augen, stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Auf einmal sah sie die Hundskötterin vor sich, wie sie den erhobenen Zeigefinger dicht vor ihrer Nase langsam hin- und herbewegte. Daran hing das lang vermisste Medaillon. Ein warmer Strahl schoss ihr durch den Körper, erfüllte sie mit neuer Kraft. Sie löste die Finger von ihrem Unterleib, richtete sich kerzengerade auf und erklärte fest: »Schließlich bin ich selbst Agnes’ Mutter.«
    »Wer wollt Ihr sein?« Die Streicherin lachte auf. »Was redet Ihr da, Fischartin? Seid Ihr sicher, dass es Euch gutgeht?« Besorgt beugte sie sich zu ihr herab, legte ihr die Hand auf die Schulter, stierte auf den vorgewölbten Bauch. Verärgert schüttelte Editha sie ab.
    »Mir ist es nie besser gegangen. Es wundert mich nicht, dass Ihr so überrascht seid. Viel zu lange habe ich über diese alte Geschichte geschwiegen. Doch jetzt ist es an der Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt.« Entschlossen erhob sie sich, blickte der Streicherin geradewegs in das fein gezeichnete Gesicht. Mit Genugtuung bemerkte sie, wie unruhig deren grünes und blaues Auge flackerten.
    »Wie kommt Ihr dazu, etwas

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