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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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auflauern.«
    »Willst du lieber umkehren und bis Anfang der nächsten Woche auf Struths Freunde warten?«
    »Nein«, erklärte sie entschieden. »Wir haben beide gewusst, worauf wir uns einlassen.«
    »Dann sind wir uns einig.« Wieder gab er dem Braunen die Sporen, um ihn eine Weile traben zu lassen. Endlich schälte sich der Fluss aus den Nebelschwaden. Direkt am Ufer war eine Fähre vertäut, emsig bewacht von einem zotteligen Hund. Sobald er ihrer gewahr wurde, kläffte er aufgeregt und zerrte an dem Seil, mit dem er an einen Pflock gebunden war. Gleich trat der Fährmann aus dem nahe gelegenen Krug. Beim Näherkommen entdeckte Agnes sein narbiges Gesicht und ein zugeschwollenes Auge. Ihr Blick wanderte über das wenig einladende Holzhaus zum Floß hinüber, das nicht so aussah, als könnte es noch einen Reiter mitsamt Pferd über die Fluten des stark angeschwollenen Nogat übersetzen.
    »Willst du einkehren?«, fragte Caspar.
    »Lieber nicht.« Struths Warnung fiel ihr ein. Schlechte Gesellschaft vermutete er bei dem Fährmann. Damit mochte er recht haben. Eine unheimliche Stille umfing das niedrige Haus, das dicht von Kiefern umringt war. Nirgendwo war ein Pferd angebunden oder ein Fuhrwerk zu entdecken. Erleichtert beobachtete Agnes, wie Caspar dem Fährmann abwinkte und das Pferd links auf die Straße nach Süden lenkte.
    »Gute Reise«, rief der Fährmann ihnen nach. Zu ihrer Überraschung schien er nicht sonderlich enttäuscht, seine Dienste umsonst angepriesen zu haben. Agnes sah noch, wie er schnell wieder in seinem Haus verschwand. Das Bellen des Hundes hallte noch eine Weile durch den Nebel.
    Fortan führte der Weg mehr oder weniger nah am Strom flussaufwärts. Der Regen der letzten Tage hatte den Nogat stark anschwellen lassen. Von Schlamm und Unrat braun gefärbt, wälzte er sich ihnen träge entgegen, um sich einige Meilen weiter nördlich ins Frische Haff zu ergießen. Selbst einige Schritte vom Ufer entfernt war der Boden stark aufgeweicht. Gelegentlich schwappte eine Welle des Nogats weit über das Flussbett hinaus und nährte die Pfützen auf dem Weg. Die Äste der Bäume, die ihn säumten, hingen niedrig. Gelegentlich schlugen ihnen die Zweige hart ins Gesicht.
    Je länger sie unterwegs waren, desto mehr sehnte sich Agnes nach dem munteren Geplapper von Julia und ihrem Vater zurück. Gewiss hätten die beiden viele Geschichten über die Gegend zwischen Elbing und Marienburg zu erzählen gewusst. Auch der Fährmann am Nogat wäre ihnen bestimmt noch einige weitere Betrachtungen wert gewesen. Das hätte sie aus ihren Grübeleien gerissen. Vergeblich durchforstete sie ihr Hirn nach Fröbels alten Geschichten. Dafür aber kreisten ihre Gedanken bald um Laurenz. Wie gefährlich das war, wurde ihr viel zu spät erst bewusst. Längst hatte sie sich da bereits ausgemalt, wie er sie am Abend in der Marienburg abweisen würde. In einer Fassung der Geschichte hörte sie ihn lauthals vor den Ordensrittern verkünden, er kenne niemanden, der Agnes heiße. Flehentlich rang sie die Hände nach ihm, während kräftige Männer sie voller Verachtung aus der Burg jagten. In einer anderen Version stellte sie sich vor, wie sie ihm außerhalb der Burg in einem Gasthaus gegenübertrat. Eine unbeschreiblich schöne junge Frau drängte sich an seine Seite. Er liebkoste sie mit zärtlichen Blicken aus seinen verschiedenfarbigen Augen. Es musste sich um die Tochter seines Förderers aus Danzig handeln, von der Agatha erzählt hatte. Ohne Umschweife würde Laurenz ihrem Drängen nachgeben, Agnes jedwede Unterstützung zu verweigern. Mit einem bedauernden Lächeln würde er sie für immer wegschicken. Ergriffen schluchzte sie auf.
    »Was ist?«, fragte Caspar und reckte sein Kinn über ihre Schulter. Seinen warmen Atem auf der Wange zu spüren, tat wohl. Zugleich erschrak sie. Waren das wirklich nur brüderliche Gefühle, die er ihr entgegenbrachte? Empfand sie selbst wie eine Schwester? Gefährlich nah waren sie letztens davor gewesen, sich wie Liebende zu küssen. Wäre ihr im entscheidenden Moment nicht sein Mal im Nacken aufgefallen, hätte sie sich ihm hingegeben – und das nicht nur, weil sie sich von Laurenz zurückgestoßen fühlte.
    So weit es ging, rückte sie im Sattel nach vorn, von ihm weg, und murmelte: »Es geht schon wieder«, bevor es auf einmal aus ihr herausbrach: »Ach, nichts geht, und das weißt du genauso gut wie ich. Lass uns endlich offen miteinander reden, Caspar. Ich glaube, wir sind beide noch

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