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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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herum. Neben Laurenz tauchten zwei weitere Männer auf. In einem von ihnen erkannte sie den Stellmachermeister Strack aus Konitz wieder, der ihnen im August im Krug in Pronitten begegnet war. Die schmächtige Gestalt und die dichten schwarzen Haare waren unverwechselbar. Also hatte Laurenz Wort gehalten und ihm eine Anstellung verschafft. Der Zweite aber war Agnes unbekannt. Kleidung und Auftreten ließen auf einen angesehenen Meister schließen, die kräftigen Arme und Hände verrieten, dass er zuweilen körperlich schwer gearbeitet hatte. Das vom Leben gezeichnete Gesicht sowie die Silberfäden im schwarzen Bart und dem dunklen Haar machten klar, dass er mindestens ein gutes Dutzend Jahre mehr auf dem Buckel hatte als Laurenz. Erstaunt wanderte sein Blick über die stumm dastehende Runde, blieb letztlich mit einem merkwürdigen Lächeln auf Caspar haften.
    »Fischart?«, fragte er, um sogleich den schmalen Kopf zu schütteln und hinzuzufügen: »Nein, nein, das kann gar nicht sein. Zu viele Jahre sind seither …«
    »Ihr verwechselt mich wohl mit meinem Vater«, unterbrach Caspar ihn und ließ Agnes los. Sogleich trat sie zwei Schritte von ihm weg.
    »So muss es sein. Ihr seid also bereits der Sohn«, erwiderte der Mann. »Viel zu lange ist es her, dass der liebe Gernot und ich uns begegnet sind. Ihr seid ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Kein Wunder, dass ich zuerst einer Täuschung erlegen bin.«
    Über seinen Worten horchte Laurenz auf. »Ihr seid der Sohn von Gernot Fischart aus der Königsberger Altstadt?«
    Er trat auf Agnes und Caspar zu, sah von neuem prüfend zwischen ihnen hin und her, blieb am Halstuch hängen, das ihr Bruder ebenso wie sie trug. Ein verständiges Lächeln huschte über Laurenz’ Gesicht. Aufmunternd zwinkerte er Agnes zu. »Längst hätte ich darauf kommen müssen!«
    »Längst ist es ohnehin an der Zeit, dass du mir und meinem Bruder die ganze Geschichte von damals erzählst«, merkte sie an und stellte sich dicht vor ihn hin. Flehentlich sah sie ihm in die verschiedenfarbigen Augen, saugte jede einzelne Regung auf seinem Gesicht auf. »Du allein kannst uns noch helfen, unsere Mutter vor dem Schlimmsten zu bewahren.«
    »Was ist geschehen?«
    »Viel zu viel, als dass ich es dir in wenigen Sätzen erklären kann. Du musst mit mir nach Königsberg kommen und unsere Mutter vor dem Verderben retten.«
    »So einfach kann ich hier nicht fort.« Bedauernd sah er zu Meister Jagusch. Der wirkte beunruhigt ob ihres aufgeregten Gesprächs. In Agnes flammte Eifersucht auf. Gewiss wollte er Laurenz nicht gehen lassen, weil er um die Bindung an seine Tochter bangte. Sie trat noch näher auf Laurenz zu, genoss seinen warmen Atem auf der Haut.
    »Hilf mir, bitte. Du stehst bei mir im Wort!«
    Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Meister Jagusch erblasste.

8
    K aum hatte Gunda entdeckt, was sie suchte, fiel es ihr schwer, bis zum Ende des Gottesdienstes andächtig auf ihrem Platz zu verharren. Weihrauch drang vom Chor über die Reihen der Gläubigen, eine Glocke wurde geläutet. Die Frauen um sie herum senkten die Köpfe, bekreuzigten sich. Ohne nachzudenken, tat sie es ihnen nach. Unruhig glitt ihr Blick jedoch immer wieder zu derselben Stelle. Auf der rechten Seite der Betenden, nur wenige Reihen weiter vorn, stand Gernot Fischart.
    Das Licht in der Johanniskirche zu Memel war nicht sonderlich gut. Die reich ausgemalten Fenster sorgten zwar für üppige Lichtspiele. Die aber waren vor allem von dunklem Blau, sattem Rot sowie gelegentlich helleren Einsprengseln in Gelb beherrscht. Die spärlich angezündeten Kerzen halfen nicht viel, wenig mehr als nur die Umrisse der versammelten Gläubigen erkennen zu lassen. Dennoch zweifelte Gunda nicht im Geringsten daran, dass der schwere Kopf auf den breiten Schultern ihrem einstigen Verlobten aus der Königsberger Altstadt gehörte. Ihre Hände zitterten, ihr Atem wurde schneller. Ihn nach all den Jahren so nah bei sich zu wissen, war kaum zu ertragen. Stünde sie drüben bei den Männern, reichte es, die Hand auszustrecken, sich ein wenig nach vorn zu recken, und sie könnte ihn bereits berühren.
    Gebannt ruhte ihr Blick auf ihm. Die Haltung seines Kopfes sowie die Linien seines Körpers hätte sie jederzeit wiedererkannt, auch in weiteren siebzehn Jahren. Viel zu sehr hatte sie einst jedes einzelne Zucken auf seinem Gesicht geliebt, war viel zu bitter von seiner verschlossenen Miene enttäuscht worden, um auch nur eine Regung von ihm je zu vergessen.

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