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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sondern ein vom Leben gezeichneter Kaufmann. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wechselte in rascher Folge von Verwunderung über Ratlosigkeit hin zu schlecht verhohlener Unsicherheit. Mit einem aufgesetzten Räuspern suchte er sie zu überspielen. »Gunda, du? Wie schön, dich wiederzusehen. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dich hier zu treffen. Was hat dich nach Memel verschlagen?«
    »Kannst du dir das nicht denken? Weißt du mich nach allem, was geschehen ist, nicht anders zu begrüßen?«
    »Es tut mir leid.« Auf den Fußspitzen wippend, geriet er ins Schwanken, sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. In ihrem Kopf drängte eine weitere Erinnerung nach oben: die an jenen entsetzlichen Tag, an dem sie mit Agnes auf dem Arm in der Fischartschen Diele gestanden und ihn um die Herausgabe des kleinen Caspar angefleht hatte. Damals hatte seine Stimme ähnlich bemüht geklungen wie gerade eben, als er ihr dieselben Worte sagte wie vor siebzehn Jahren. In höchster Verzweiflung hatte sie vor ihm gestanden. Ihr Schicksal hatte in seiner Hand gelegen, und er hatte das gewusst. Den drohenden Blick Edithas im Rücken, den bösen Odem der Hundskötterin im Genick aber hatte er nicht einen Funken Mut aufgebracht, sich zur Wahrheit zu bekennen, sondern nur jenes niederschmetternde, erbärmliche »Es tut mir leid« zwischen den Lippen hervorgepresst. Dieses Mal in Memel stand die Sache nicht viel anders. Auch nun lag ihr Schicksal wieder in seiner Hand. Doch nun waren sie allein miteinander, um das ein für alle Mal zu klären. Ihre anfängliche Verliebtheit war wie weggeblasen.
    »Lass uns ein Stück gehen, mein Lieber. Jenseits des Trubels hier auf dem Kirchplatz lässt es sich besser miteinander reden.« Liebenswürdig lächelte sie ihn an.
    »Wie du willst«, stimmte er zu und lotste sie zu einer Gasse, die nordwärts vom Markt wegführte.
    Erstaunlich, dass das Schicksal sie beide ausgerechnet in Memel zusammenführte, einer Stadt, die vor gut zweihundert Jahren von Dortmunder Kaufleuten neben der Memelburg des Deutschen Ordens gegründet worden war. Wie alle Städte des Ordenslandes war auch Memel nach den Bedürfnissen der Siedler aufs sorgfältigste angelegt worden. Prunkvolle Kaufmannshäuser aus rotem Backstein säumten die breiten Straßen. Nur vereinzelt schoben sich niedrige Fachwerkbauten dazwischen. Die Stadt rechnete sich zwar lange schon zum Preußischen Bund, war aber bislang von kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Kreuzherren verschont geblieben. Mit weiser Voraussicht hatten die Bürger darauf verzichtet, die Ordensburg zu schleifen. Am westlichen Rand Memels gelegen, bot sie mit ihren trutzigen Wallanlagen einen hervorragenden Schutz vor dem Wasser des Kurischen Haffs. Ruhig und friedlich breitete sich die Stadt zwischen Haff, Dangemündung und der nach Livland sacht auslaufenden Memelebene aus.
    Schweigend erreichten Gunda und Gernot das Ufer der Dange und erklommen den niedrigen Wall, der die letzten Häuser der Stadt von dem Fluss trennte. Obenauf verlief ein schmaler Pfad. In stummem Einvernehmen schlugen sie den Weg flussabwärts ein. Kaum eine Menschenseele war unterwegs. Dank der Oktobersonne tanzten goldene Lichtsplitter auf dem Wasser. Das schimmernde Band zog sich in sanftem Schwung am Wall entlang. Der Geruch nach brakigem Wasser drang in die Nasen. Grauweiße Möwen segelten dicht über den Wellen, ein Kormoran störte sie auf, sorgte für das vorläufige Ende der friedlichen Stimmung unter den Tieren. Anders als die Vögel achteten die Schiffsleute den Sonntag. Dabei wäre der linde Ostwind bestens geeignet, die Segel zu blähen, um den nahen Hafen an der Flussmündung ins Kurische Haff anzusteuern. So aber zeigte sich kein Boot auf dem Wasser. Es wurde kühler. Ein leichter Wind zupfte an der Flügelhaube auf Gundas Kopf, als wollte er sie an den eigentlichen Grund ihres Spaziergangs mit Gernot gemahnen.
    »Du bist immer noch sehr schön«, hob Gernot ungelenk an und verschränkte umständlich die Arme auf dem Rücken. »Dein Haar ist wundervoll frisiert, deine weiße Haut makellos glatt. Deine Figur und dein Auftreten betören durch eine jugendliche Unbeschwertheit, wie sie dir schon immer zu eigen war. Beneidenswert! Wie machst du das nur? Kaum ist dir dein Alter anzusehen.«
    »Ist das alles, was du mir nach all den Jahren zu sagen hast?« Unvermittelt blieb sie stehen, zwang ihn, ebenfalls anzuhalten, und sah ihn eindringlich an. Er versuchte, ihrem Blick auszuweichen. Sacht

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