Gold und Stein
zu nutzen. Damit hatte sich auch Meister Jagusch zufrieden gezeigt. Ungern verlor er seinen besten Mann undurchsichtiger Verpflichtungen wegen.
Der auf dieses kurze Wiedersehen auf der Marienburg folgende Nachmittag sowie die daran anschließende Nacht waren Agnes endlos erschienen. Kaum hatte sie danach noch den sonntäglichen Gottesdienst in der Marienburger Johanneskirche auszuhalten vermocht.
Endlich wartete sie zusammen mit Caspar an der östlichen Ecke des Kirchplatzes auf Laurenz, der wie die anderen Handwerker und Baumeister die Messe in der Laurentiuskapelle auf der Vorburg besucht hatte.
Unruhig trippelte Agnes auf der Stelle, zwirbelte sich eine Haarsträhne um die Finger, strich mehrfach den Stoff ihres Rockes glatt. Caspar tat, als merkte er nichts von ihrer Unrast. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, wippte er auf den Fußspitzen, sah ziellos über die angrenzenden Backsteingebäude.
»Mach dir nur keine allzu großen Hoffnungen, Agnes. Meister Jagusch wird deinen guten Laurenz nicht so einfach gehen lassen«, erklärte er mindestens zum dritten Mal an diesem Vormittag. Schon am Abend zuvor hatte er mehrfach versucht, ihre Hoffnungen zu dämpfen. Agnes war sich nicht sicher, ob es aus Eifersucht auf Laurenz oder tatsächlich aus Sorge um sie geschah.
»Du magst ihn nicht sonderlich.«
»Ich kenne ihn kaum«, umging er eine direkte Antwort. »Was mir jedoch auffällt, ist dein Verhalten. Du musst vorsichtiger sein. Bis über beide Ohren bist du in ihn verliebt. Auch wenn ich es seit Elbing geahnt habe, hätte ich es begrüßt, von dir eingeweiht zu werden. Vergiss nicht: Du bist mir die ganze Geschichte noch schuldig. Davon abgesehen, ist es ungehörig, deine Gefühle so offen zu zeigen. Das gehört sich nicht für eine ehrbare Jungfer!«
Bei diesem Wort zuckte sie zusammen, senkte den Blick.
»Du machst dich zum Narren, liebes Schwesterherz. So gesehen, ist es höchste Zeit, dass einer auf dich achtgibt.«
»Und derjenige willst ausgerechnet du sein?« Trotz allen Ärgers über seine offenen Worte belustigte sie diese Vorstellung. Herausfordernd stemmte sie die Hände in die Hüften und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick, um die vollen Lippen lag ebenfalls ein Schmunzeln.
»Natürlich werde ich fortan derjenige sein, der dich mit Klauen und Zähnen verteidigt. Habe ich dir nicht vor zwei Tagen erst gesagt, wie unerwartet es mich zwar getroffen hat, plötzlich eine Schwester zu haben, wie ungern ich sie aber gleich wieder verliere? Ich setze alles daran, dich vor unüberlegten Schritten zu bewahren. Wozu sonst ist ein Bruder da?«
»Vielleicht war es doch keine so gute Idee, dir unsere Verwandtschaftsverhältnisse offenzulegen. Bislang bin ich sehr gut ohne Bruder durchs Leben gekommen.«
»Gib zu, meine Liebe: Auf Dauer hat dir das einfach nicht gereicht. Tief in deinem Innern ist dir bewusst gewesen, dass dir etwas Wesentliches fehlt: ein Bruder wie ich! Nie hättest du dich sonst auf den Weg gemacht, mich in Königsberg zu finden.«
Über seinen Worten wurde sie ernst. Er bemerkte das nicht, und sie beschloss, ihn in seinem Glauben zu belassen. Erfuhr er, warum und vor allem
wie
sie Laurenz dafür gewonnen hatte, mit ihr Anfang August gegen Gundas Willen aus Wehlau wegzulaufen, wäre er entsetzt. Nie durfte er erfahren, wie weit ihre Liebe zu Laurenz bereits gediehen war. Am Ende würde er ihn für ihre verlorene Ehre zur Rede stellen. Und das würde er nicht allein als Bruder tun. Viel zu nah war er davor gewesen, sie als Frau und nicht als Schwester zu lieben. Ihr wurde flau. Gerechterweise musste sie sich eingestehen, dass auch sie nicht immer allein geschwisterliche Gefühle für ihn gehegt hatte.
»Wie gut, dass ich dich so schnell gefunden habe.« Sie hob den Blick und zwinkerte ihm zu. »So können wir uns jetzt gemeinsam daranmachen, für unsere Mutter zu kämpfen.«
»Sag besser: für unsere Mütter. Letztlich ist es gleichgültig, wer uns zur Welt gebracht hat. Sie lieben uns beide, jede auf ihre Art.«
»Dein Wort in Gottes Ohr, oder besser: in dem der Hundskötterin. Die allein scheint mir der Ursprung aller Zwietracht zu sein.«
»Dabei hat sie damals nur helfen wollen, sowohl Gunda als auch meiner Mutter.«
»Wollen wir es hoffen«, stellte sie fest. »Alles andere wäre so bösartig, dass ich es nicht einmal einer Frau wie ihr zutraue.«
»Du kennst sie kaum.«
»Ehrlich gesagt, brenne ich nicht darauf, sie besser kennenzulernen.«
Darauf erwiderte er nichts
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