Gold und Stein
Schutz nahm. »So weh es mir tut, muss ich wohl zugeben, dass du recht haben könntest. Etwas Besonderes wird Editha haben, sonst würdest du sie kaum derart innig lieben.«
»Ich wusste es!« Begeistert hob er die Arme, machte einen Schritt auf sie zu, sah dann aber doch von der Umarmung ab. Sie dankte es ihm mit einem Lächeln.
»Editha ist wirklich eine besondere Frau«, fuhr er endlich fort. »Davon abgesehen, hat sie sich vom ersten Tag unserer Ehe an nichts sehnlicher gewünscht als ein gemeinsames Kind. Sie quoll über vor Liebe, und es war klar, dass ich allein ihr nicht genug war, um dieses Gefühl auszuleben. Glücklicherweise war sie bald schon schwanger, fühlte sich von da an wie im Paradies. Umso schlimmer für sie, das Kind noch bei der Geburt zu verlieren.«
Sichtlich bewegt, hielt er abermals inne, sah ziellos in die Ferne und seufzte tief, bevor er sich Gunda wieder zuwandte. Kaum hörbar flüsterte er: »Mir allein habe ich die Schuld daran gegeben. Ich war überzeugt, das tote Kind wäre die Strafe Gottes, weil ich dich und unsere Liebe zu schnell aufgegeben habe. Wie habe ich mir nur einbilden können, Gott ließe mir das ungestraft durchgehen? Schlimm war, dass er Editha damit ebenfalls hart traf. Doch anscheinend hielt er einen Trost für sie bereit: Als die Hundskötterin aus dem Löbenicht zurückkehrte, wo sie Rat bei ihrer Lehrmeisterin gesucht hatte, und uns erzählte, du befändest dich in größter Not, weil du am selben Tag zwei Kindern das Leben geschenkt hattest, schien mir das wie ein neuerlicher Fingerzeig des Himmels. Ich bekam die Gelegenheit, dir noch einmal beizustehen und damit mein Versagen dir gegenüber gutzumachen. Nähmen Editha und ich uns eines deiner beiden Kinder an, würde man dir nicht unterstellen können, deinen Ehemann hintergangen und mit einem zweiten Mann ein Kind gezeugt zu haben.
Natürlich wusste ich, wer dieser zweite Mann war, das aber verriet ich nicht. Editha war sogleich beseelt von der Vorstellung, so doch noch ein Kind an ihrer Brust zu nähren, zumal uns die Hundskötterin wieder und wieder versicherte, damit würden wir dir aus größter Not helfen. Nichts anderes hatte ich also im Sinn, als ich zu dir lief. Ich konnte doch nicht ahnen, dass Kelletat ebenfalls zu Hause war und mich sofort mit Fäusten traktieren würde! Bei dem Gerangel mit ihm ging es mir einzig darum, mich seines Angriffs zu erwehren. Dass er dabei unglücklich die Treppe hinunterstürzte und starb, bedaure ich unendlich.«
Schuldbewusst senkte er den Blick und schwieg. Sie fühlte sich außerstande, etwas zu erwidern. Zu deutlich stand ihr das Geschehen von damals vor Augen. Ihr Blick schweifte ab, folgte dem Flug einer Möwe. Eine zweite folgte ihr, um schließlich mit einem lauten Kreischen ins Wasser zu stoßen. Mit einem silbrig glänzenden Fisch im Maul tauchte sie wieder auf. Gunda schaute wieder zu Gernot.
Endlich redete er mit leiser Stimme weiter: »Du ahnst nicht, wie erschrocken ich war, als ich Caspar und das Mädchen in der Wiege liegen sah. Der Junge war mir wie aus dem Gesicht geschnitten! Als ich mich zu ihnen beugte und sie weiter ansah, die kleinen Köpfe drehte und bei beiden das Feuermal im Nacken entdeckte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Alle beiden waren
unsere
Kinder! Ich konnte es kaum fassen, liebe Gunda. Ein einziges Mal nur haben wir uns einander hingegeben, gleich doppelt hat uns das Schicksal das mit den Zwillingen vergolten.«
»Wenn du also sofort gewusst hast, dass beide Kinder von dir waren, warum hast du mir das trotzdem angetan?«
Ratlos suchte sie seinen Blick. Von neuem wich er ihr aus.
»Ich weiß es nicht!« Er zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf. »Was hätte ich tun sollen? Mich offen zu der Vaterschaft bekennen? Damit wäre weder dir noch mir geholfen gewesen. Im Gegenteil. Das hätte alles nur noch schlimmer gemacht, weil man vor allem dir angelastet hätte, Kelletat schändlich hintergangen zu haben. Vergiss nicht: Du warst eine Fremde, hattest auf dem Weg an den Pregel nach dem Überfall jeglichen männlichen Beistand verloren und hieltest dich erst wenige Monate in Königsberg auf. Er aber galt als ehrbarer Löbenichter Bürger. Unter Schimpf und Schande hätten sie dich durch die Gassen getrieben!«
Aufgewühlt versagte ihm die Stimme. Er schluckte, beruhigte sich allmählich und fuhr in ruhigerem Ton fort: »Wahrscheinlich aber war ich in jenem Moment an der Wiege einfach nur unfähig, über irgendetwas
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