Gold und Stein
nickte stumm.
»Also gut«, seufzte er, »du kannst dich auf mich verlassen. Wie kommt sie nur darauf, nach all den vielen Jahren das Mädchen zu uns holen zu wollen? Ach, das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Ich werde mit ihr sprechen. Sie wird sie in Ruhe lassen. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Nur zu gern würde ich mich dieses Mal darauf verlassen. Doch damit ist es nicht getan, mein Lieber. Dank Editha und der Hundskötterin wissen sowohl Agnes als auch Caspar, dass sie Zwillinge und deine Kinder sind.«
»Wie ist das möglich? Sind sich die Kinder begegnet?« Er wurde aschfahl.
»Denk daran, mein Lieber: Was geschehen ist, ist geschehen. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Jetzt geht es allein darum, den Schaden zu begrenzen. Das aber ist deine Aufgabe.«
»Wie meinst du das?«
»Ganz einfach: Du wirst zurück nach Königsberg reisen und unseren Kindern die Wahrheit über uns beide sagen, vor allem auch, dass ich ihre Mutter bin und nicht Editha.«
»Sie sind also beide in Königsberg. Wie aber geht es weiter? Wirst du Editha und mir Caspar doch wegnehmen? Eben erst hast du selbst gesagt, du würdest …«
»Auf mein Wort ist Verlass. Ich habe dir bereits erklärt, dass ich nicht im Traum daran denke, Caspar sein bisheriges Leben zu zerstören, und dabei bleibe ich. Ein Siebzehnjähriger lässt sich nicht mehr wie ein winziger Säugling irgendwohin mitnehmen. Davon abgesehen, halte ich es für besser, ihn ebenso wie Agnes selbst entscheiden zu lassen, bei wem er künftig leben will.«
»Das ist nicht dein Ernst! Du kannst nicht verlangen, dass ich …«
»Darf ich dich daran erinnern, dass ich bislang noch nie etwas von dir verlangt habe? Dieses eine Mal muss es sein. Vergiss nicht: Es geht um das Wohl unserer geliebten Kinder. Niemand auf Erden bedeutet mir mehr als diese beiden, das gilt für Agnes ebenso wie für Caspar. Über Monate habe ich die beiden unter meinem Herzen getragen. Dabei ist ein Band zwischen uns geknüpft worden, das niemals zerreißen wird. Eben darum muss er die Wahrheit erfahren. Allerdings von dir, mein Lieber. Schließlich hast du sie ihm all die Jahre über vorenthalten. Vertrau ihm, er wird wissen, was er tun soll.«
»Bist du sicher?«
»Warum zweifelst du an ihm? Hast du mir nicht eben erst vorgeschwärmt, wie stolz du bist, was aus ihm geworden ist? Sich lieben heißt einander vertrauen. Das gilt auch zwischen Eltern und Kindern.«
»Ach, Gunda! Du bist wirklich noch dieselbe wie früher.« Ehe sie sich’s versah, ergriff er ihre Hände und lächelte sie an. In seinen Augen lag ein schwärmerischer Ausdruck, den sie nur zu gut kannte. Gegen ihren Willen spürte sie ihre Knie weich werden.
»Was ist nur geschehen, dass wir uns so fremd wurden? Denkst du auch noch oft daran, wie wir uns die Verse von …«
»Lassen wir das!«, unterbrach sie ihn brüsk. Sie musste auf der Hut bleiben. Er war dabei, ihr wieder gefährlich nahezukommen. »Dann ist also alles klar. In etwa einer Woche treffen wir uns in deinem Haus in Königsberg.«
»Warum reisen wir nicht gemeinsam? Allein solltest du nicht unterwegs sein. Wir sind eine gut bewaffnete Gruppe von einem halben Dutzend Kaufleuten. Morgen früh brechen wir auf.«
»Vielen Dank für das freundliche Angebot. Doch die Zeiten, in denen ich mich vertrauensvoll in deine Hände begeben habe, sind lange vorbei.«
Ohne einen weiteren Gruß wandte sie sich um und ging den Wall hinunter in die Stadt zurück. Es blieb ihr nicht viel Zeit. Ein schwerer Weg lag vor ihr. Am Nachmittag würde sie bereits weiterreisen.
9
D as unverhoffte Wiedersehen mit Agnes hatte Laurenz in arge Bedrängnis gestürzt. Einerseits hatte alles in ihm danach geschrien, sie in die Arme zu nehmen, zu küssen und fest an sich zu drücken. Andererseits hatte ihn die Vernunft genau davon abgehalten. Mitten auf der Baustelle, noch dazu im Beisein von Meister Jagusch, den böhmischen Kaufleuten und Caspar, durfte er seine Gefühle keinesfalls offen preisgeben. Als sie ihm atemlos eröffnet hatte, er müsse sofort seine Arbeit niederlegen und mit ihr nach Königsberg kommen, hatte er um Fassung gerungen. Die Verantwortung für Agnes sowie das Pflichtgefühl Meister Jagusch, seinen Kunstdienern und Auftraggebern gegenüber rissen gleichermaßen an ihm. Nach einer langen Weile des Nachdenkens hatte er schließlich vorgeschlagen, den anstehenden Sonntag für ein ausführliches Gespräch über die bisherigen Ereignisse und ihre weiteren Pläne
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