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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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lästigen Fliegen vergessen lassen. Nur sie beide würden zählen, wie sie dem Lauf der weißen Wolken am blauen Himmel nachträumten und sich eine gemeinsame Zukunft jenseits von Wehlau und den lästigen Geschichten um Gunda und Lore ausmalten. Selbst die Träume von dem rätselhaften Burschen mit dem Feuermal würden darüber verschwinden. Unvermittelt blieb sie stehen, lehnte sich an eine Hauswand. Fast war ihr, als stünde Laurenz ganz nah bei ihr, und sie spürte seinen Atem auf den Wangen. Langsam beugte er sich zu ihr vor, spitzte die Lippen zu einem Kuss und entführte sie in eine andere Welt. Ihre Finger spielten mit den Zipfeln des Halstuchs, berührten dabei sacht die nackte Haut auf ihrer Brust.
    Was tat sie da nur? Jäh rief sie sich in die Wirklichkeit zurück. Am liebsten würde sie sich das elende Tuch vom Hals reißen und aller Welt das hässliche Mal in ihrem Nacken entgegenstrecken. Das aber brachte Laurenz auch nicht zurück. Es war ihr, als brannte das Mal wie Feuer im Nacken. Klar stand ihr vor Augen, wie verzweifelt sie auf der Baustelle um die Georgskapelle herumgeirrt war, um nach Laurenz zu suchen. Sogar zum Haus der Ratsherrenfamilie Stein am Markt war sie noch einmal gelaufen. Außer den beiden hämisch grinsenden Mägden hatte sie dort niemanden angetroffen. Laurenz schien wie vom Erdboden verschluckt. Die Zurückweisung des kostbaren Papageis hatte ihn zutiefst getroffen. Warum hatte sie das nur getan? Wäre es nicht besser gewesen, mit Gunda und Lore zu brechen und an Laurenz’ Seite glücklich zu leben, statt so allein wie jetzt durchs Leben zu irren? Nun harrte sie unglücklich bei Mutter und Großmutter aus, um demnächst mit Kollmann verheiratet zu werden, einem Mann, den sie niemals auch nur mögen, geschweige denn je lieben würde! Allein bei dem Gedanken, wie er sich ihr nähern würde, wurde ihr übel.
    »Agnes? Was tust du da?« Überraschend tauchte Gunda neben ihr auf. »Träumst du etwa am helllichten Tag? Ich dachte, wir hätten es äußerst eilig, zum Pregeltor zu gelangen. Oder stimmt das gar nicht?«
    »Was?« Hastig wischte Agnes sich die Stirn, richtete das Halstuch. Gerade wollte sie die Mutter beruhigen, da veränderte sich Gundas aufgebrachte Miene, und ein zuvorkommendes Lächeln breitete sich darauf aus. Der behäbige Böttchermeister Haude war aus der Badergasse um die Ecke gebogen und versperrte ihnen den Weg. »Gott zum Gruße, verehrte Fröbelin!«
    Freundlich erwiderte Gunda den Gruß. »Was habt Ihr auf dem Herzen, mein Lieber?«
    »Welch Zufall! Gerade wollte ich zu Euch in den Silbernen Hirschen«, begann er reichlich umständlich und drehte das Barett in den Händen vor seinem weit vorspringenden Bauch. »Ihr habt noch einmal zwei neue, große Fässer bei mir bestellt, auch einen offenen Zuber, wenn ich richtig liege. Leider kann ich sie Euch erst nächste, vielleicht sogar erst übernächste Woche liefern, wenn überhaupt.«
    »Was wollt Ihr damit sagen? Soll ich bis dahin mein Bier in Kannen abfüllen?« Um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, lachte sie übertrieben auf. »Oder soll ich das Bierbrauen vorläufig einstellen und meine durstigen Gäste auf später vertrösten, weil Ihr mir keine Fässer mehr liefern könnt?«
    Als Haude keine Reaktion zeigte, verlegte sie sich aufs Schmeicheln. »Ihr wollt mich doch am Ende nicht an Eure Zunftgenossen verweisen? Dabei wisst Ihr so gut wie ich, dass das Fröbelsche Bier am besten aus den Fässern schmeckt, die unter Eurer kundigen Hand und der Eurer Vorväter entstanden sind. Schon mein Gemahl hat ebenso darauf geschworen wie sein Vater und seines Vaters Vater. Wahrscheinlich sind im Silbernen Hirschen niemals andere Fässer als die aus der Haudeschen Werkstatt in der Badergasse verwendet worden. Genau das macht wohl das Besondere an unserem Bier aus.«
    »Ich bin der Erste, der alles daransetzt, dass dies auch in weiteren Generationen der Fall sein wird«, erwiderte Haude. Das Unbehagen, Gunda eine Absage erteilen zu müssen, stand ihm ins glattrasierte Gesicht geschrieben. Hilflos hob er die fleischigen Hände. Als er noch etwas hinzufügen wollte, setzte das Geläut der Jakobikirche ein. Entschuldigend deutete er in die Luft und gab ein Zeichen, gleich etwas erklären zu wollen. In der eben noch mittäglich trägen Gasse wurde es unruhig. Die Hoftore öffneten sich, und einige Männer eilten heraus. In den offenen Werkstätten legten sie ihre Werkzeuge beiseite, rissen sich die Schürzen von der Brust

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