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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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dieser Erinnerungen röteten sich ihre Wangen. Trotz erfasste sie. Anders, als sie letztens zu Agnes gesagt hatte, fühlte sie sich mit ihren fünfunddreißig Jahren beileibe noch nicht zu alt, um an das vertraute Zusammensein mit einem Mann zu denken. Sich weiter Glück und Zärtlichkeit zu gönnen, das hatte sie sogar Fröbel auf dem Sterbebett versprechen müssen.
    Der gute Zacharias! Wie viele schöne Jahre hatten sie miteinander gehabt? Versonnen schmunzelte Gunda in sich hinein. Er hatte die Kunst bestens beherrscht, sie rasch vergessen zu lassen, welch grausame Erlebnisse hinter ihr lagen. Wie durch ein Wunder hatte er ihr die Freude am Hier und Jetzt zurückgegeben. Von neuem sah sie auf Ulrich. Fröbel hatte viel von ihm gehalten, ihn wie einen Sohn behandelt. Bei dem Gedanken fühlte sie einen Stich im Herzen. Sie rang mit sich, den Schmerz rasch zu verdrängen. Ihren Sohn musste sie ein für alle Mal vergessen. Was zählte, war allein Agnes. Für sie galt es zu sorgen. Das zu tun, hatte Fröbel sie ebenfalls beschworen.
    Wieder versank Gunda in der Betrachtung von Ulrich. Der Brauknecht war ein stattlicher Bursche. Dem tat auch die entstellende Narbe im Gesicht keinerlei Abbruch. Als er den Kopf leicht zur Seite drehte, um dem aus dem Bottich aufsteigenden Dampf zu entgehen, wurde sie kurz sichtbar. Sein beeindruckendes Auftreten machte diesen Makel wett. Vom Brauen verstand er eine Menge, auch wenn das als Frauenarbeit galt. Er liebte es – selbst mitten im heißen Sommer, wenn es an der Sudpfanne unerträglich wurde und das frisch gebraute Bier viel zu rasch verdarb. Seit seinem zehnten Lebensjahr verdingte er sich im Silbernen Hirschen, war damit sogar sehr viel länger im Haus als sie selbst. Dabei mochte er gut eine Handvoll Jahre jünger sein als sie.
    Ob der alte Fröbel gewollt hätte, dass sie Ulrich nach der angemessenen Trauerzeit heiratete? Es hätte zu ihm gepasst. Seit seinem Tod war mehr als ein Jahr vergangen. Die Zeit war also gekommen, an eine neue Ehe zu denken. Auch angesichts der Unruhe im Ordensland empfahl es sich, die Zustände im Silbernen Hirschen zu ordnen. Falls es zum Äußersten kommen und Wehlau tatsächlich in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Deutschordensrittern verstrickt werden würde, flößte ein Mann als Haushaltsvorstand den nötigen Respekt ein. Ulrich war wie geschaffen für diese Aufgabe. Lediglich seine offensichtliche Liebe zu Griet stand dem entgegen. Gunda seufzte. Sie mochte die Magd und wollte ihr nicht weh tun. Dennoch war sie zuversichtlich, eine angemessene Lösung für sie zu finden. Viel schwieriger würde es mit Agnes werden. Kollmann fiel ihr ein und Agnes’ verworrene Vorstellung, er hätte um Gunda geworben. Sie schüttelte den Kopf. Wie hatte Agnes auf diese Idee verfallen können? Seit langem schon brannte er darauf, die Siebzehnjährige zu heiraten, hatte gar noch bei Fröbel einen ersten Vorstoß unternommen.
    Zitternd lehnte sie sich an eines der brusthohen Fässer, die rehbraunen Augen weiter auf Ulrichs breites Kreuz gerichtet. Der Gedanke, Agnes aus ihrer nächsten Nähe zu verlieren, erschreckte sie. Doch Agnes wurde erwachsen, das zeigte sich mit jedem Tag deutlicher. Gunda atmete tief durch. Kollmann war ein anständiger Mensch, Fröbel hatte ihm blind vertraut. Besser konnte ihre Tochter es kaum treffen. Bereits jetzt liebte er sie, wie nur ein lebenskluger Mann seines Alters eine blutjunge, ungestüme Frau wie Agnes lieben konnte. Auch sie würde lernen, ihn zu lieben. Liebe wuchs mit der Zeit, das wusste Gunda aus eigener Erfahrung, besser als jede ungestüme Liebe auf den ersten Blick. Von neuem spürte sie einen Kloß im Hals. Eine große Dankbarkeit erfasste sie, nicht allein Fröbel gegenüber. Sie gab sich einen Ruck, löste sich von dem Fass. Sie sollte die Geschichte endlich gut zu Ende bringen. Wenn Agnes einverstanden war, würden sie noch vor Anbruch des nahen Herbstes eine Doppelhochzeit feiern. Wer konnte schon ahnen, wie lange man in Wehlau noch Anlass zum Feiern fand?
    Zufrieden mit sich befeuchtete sie ein weiteres Mal die Lippen, bis sie glänzten, und richtete den aus Wolle geflochtenen Gürtel um die Hüften. Ohne hinzusehen, prüfte sie tastend die Vollständigkeit des daran hängenden Schlüsselbunds und das Vorhandensein des kleinen Kästchens mit Werkzeug und Besteck. Mit spitzen Fingern zupfte sie schließlich einige Fussel aus den Falten ihres Rocks. Seit den Ostertagen trug sie wieder bunte, leicht

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