Gold und Stein
Mutter mehr sich selbst als Agnes. »Wir haben nicht einmal mehr eine eigene Ordensburg. Die Rastenburger haben unsere Söldner doch ebenfalls gegen Tapiau unterstützt. Dort mag mehr zu gewinnen sein als hier bei uns. Unsere Stadt liegt in einem Sumpfgebiet und gehört trotz ihrer Lage am Zusammenfluss von Alle und Pregel nicht eben zu den wichtigen Knotenpunkten der Handelswege. Vielleicht haben wir noch einmal Glück, und am Ende bleibt es bei einem drohenden Säbelrasseln in unsere Richtung. Reuß von Plauen muss seine Kräfte bündeln, um die aufrührerischen Kneiphöfer niederzuringen. Immerhin werden die von den widerborstigen Danzigern unterstützt, was ihn doppelt ärgern muss. Doch ganz gleich, wie es kommen wird, einer Sache kannst du gewiss sein: Deine Heirat mit Kollmann gerät darüber nicht in Gefahr. Er wird zu seinem einmal gegebenen Wort stehen.«
»Das ist nicht dein Ernst! Du willst mich immer noch mit Kollmann verheiraten? Aber warum? Du weißt, dass ich ihn nicht liebe. Wie kannst du mir das antun?«
Ein dicker Kloß engte Agnes die Kehle ein. Am liebsten hätte sie Gunda beiseitegestoßen und wäre davongerannt. Doch wohin? Ihre Augen irrten über das dichte Gedränge. Auf den Gesichtern der Menschen stand die Entschlossenheit, ihre Stadt gegen die anrückenden Deutschordensritter zu verteidigen. Angesichts der näher rückenden Söldnertruppen war es nicht ratsam, als junge Frau ohne Schutz allein außerhalb der Stadt unterwegs zu sein.
»Aber Kind«, Gunda wirkte erstaunt, »wieso denkst du, die Heirat geschähe zu deinem Schaden? Kollmann ist ein kluger, aufmerksamer Mann. Er ist von dir sehr angetan. Ich bin sicher, er wird alles tun, dir das Leben an seiner Seite so angenehm wie möglich zu machen. Und das mit der Liebe, mein Kind, das ergibt sich mit der Zeit von allein. Liebe muss nicht von Beginn an vorhanden sein. Sie kann auch im Lauf der gemeinsamen Jahre wachsen. Vielleicht ist das am Ende sogar die beständigere, ausdauerndere Art zu lieben. Der ungestüme Rausch der Liebe auf den ersten Blick verfliegt meist schneller, als einem lieb sein kann. Mitunter gibt es danach ein sehr bitteres Erwachen, an dessen Folgen man zeit seines Lebens trägt.«
Ihre braunen Augen verengten sich, der schön geschwungene Mund verlor sich in einem harten, geraden Zug.
»Du weißt doch gar nicht, wovon du redest.« Agnes zwang sich, Ruhe zu bewahren. »Sicher hast du Fröbel im Lauf eurer Ehe aufrichtig lieben gelernt. Er war ein Mensch, dem man schwerlich seine Liebe versagen konnte. Aber das heißt noch lange nicht, dass du weißt, was es bedeutet, einen anderen Menschen vom ersten Augenblick an wahrhaftig zu lieben, ihm bedingungslos verfallen zu sein.«
»Aber du weißt das mit deinen gerade einmal siebzehn Jahren?« Gundas Stimme klang gefährlich leise. Eindringlich suchte sie Agnes’ Blick, erlaubte ihr kein Ausweichen. »So klug und umsichtig du sonst auch sein magst, mein Kind, so hast du doch oft von den nächstliegenden Dingen noch nicht die geringste Ahnung.«
Jäh wandte sie sich ab, tat, als erforderte das Geschehen vorn am Tor ihre gesamte Aufmerksamkeit. Agnes ahnte, wie viel Kraft es Gunda gekostet hatte, diese Worte ruhig auszusprechen. Den schlanken, hoch aufgeschossenen Körper der Mutter durchlief ein Zittern. Der Ton, in dem sie gesprochen hatte, war rauh gewesen. Die harte Schale, die Gunda umgab, verbarg eine zutiefst verletzte Seele. Gern hätte Agnes der Mutter die Hand auf den Arm gelegt, um sie zu trösten. Gleichzeitig spürte sie, dass sie nicht diejenige war, die Gunda diesen Trost zu spenden vermochte. Zu dick und unüberwindbar ragte die unsichtbare Mauer zwischen ihnen beiden auf. Sie waren zwar Mutter und Tochter, schienen zuweilen jedoch weiter voneinander entfernt, als zwei fremde Menschen es je sein konnten.
18
G unda und Agnes brauchten lange, um zu der weit ausladenden Eiche auf halbem Weg zum Flussufer zu gelangen, wo Rehbinder sie treffen wollte. Vor Ungeduld hielt es den dicken kleinen Mann kaum noch im Schatten unter dem jahrhundertealten Baum. Längst war ihm außerdem klar geworden, wie unpassend dieser Treffpunkt an einem Tag wie diesem war. Unablässig zogen Gesellen vorbei, die zum Pregel hinuntereilten. Ihnen kamen zahllose Landarbeiterinnen und Mägde entgegen, die von der Heumahd auf den Gemeindewiesen und den Waschplätzen am Pregel vorzeitig in die Stadt zurückkehrten. Der Aufruhr rings um die Stadt hatte sie aufgescheucht. Am Pregel
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