Gold und Stein
wurden sämtliche Schiffe zum Anlanden gezwungen. Mitten auf der Flussbrücke hatten sich Schützen postiert, die Bogen schussbereit aufs Wasser gerichtet. Unter empörtem Gebrüll der Schiffer enterten waghalsige Burschen die Kähne und prüften die Ladung, ob sie zum Schanzenbau geeignet war. Falls ja, wurde sie direkt nach dem Festmachen am Ufer abgeladen. Um das Holz und weitere Baumaterialien für den Schanzenbau auf den bereits abgemähten Heuwiesen zu lagern, bildete sich hügelaufwärts eine lange Kette kräftig zupackender Männer. Von der Stadt her tauchten die ersten Mädchen auf, die prall mit Brot, Schinken, Käse und Bierkannen gefüllte Körbe herbeischleppten, um die Männer mit kräftestärkenden Köstlichkeiten zu versorgen.
Die Stimmung ähnelte zunehmend einem ausgelassenen Jahrmarkttreiben. Die eben noch aufgeloderte Furcht vor einem grausamen Gefecht mit den kampferprobten Deutschordensrittern geriet in Vergessenheit. Von einem tiefblauen Himmel strahlte die Sonne herab. Weit breitete sich das hügelige Land vor Agnes’ Augen aus, überzogen von im lauen Wind wogenden goldgelben Kornfeldern, aus denen einzelne Bäume stolz emporragten. Dazwischen schlängelte sich das grünblaue Band des Pregels. Zahllose Kähne schifften neben Holz auch Asche, Teer, Flachs oder Leder aus Litauen heran.
»Lasst uns weitergehen«, hörte sie Gunda vorschlagen, kaum dass sie bei dem unruhig gewordenen Kaufmann aus Königsberg angelangt waren. Zustimmend nickte er und verzichtete auf die übliche ehrerbietende Begrüßung. Schweigend folgten sie der Menge den gewundenen Weg zum Pregelufer hinunter. Brusthohes Gras säumte rechts und links den ausgetretenen Pfad. Je näher sie dem Ufer kamen, desto sumpfiger wurde das Gelände. Mücken schwirrten durch die Luft und ließen sich kaum verscheuchen. Das Rufen der Schiffsleute wurde lauter. Vom Fluss aus verhandelten sie heftig gestikulierend mit den Leuten am Ufer. Kurz vor Erreichen der hölzernen Pregelbrücke bat Rehbinder Agnes und Gunda nach rechts, den Fluss hinauf. Mannshohe Büsche sowie vereinzelte Birken spendeten gelegentlich Schatten, ansonsten schlängelte sich der Pfad ungeschützt in der prallen Sonnenglut dahin.
»Meine Schiffe mit dem Eibenholz haben flussaufwärts festgemacht. Mit eigenen Augen werdet Ihr sehen, dass es sich um allerbeste Ware direkt aus Litauen handelt, genau wie verabredet«, begann Rehbinder und wies mit der Rechten stromaufwärts. »Ihr bürgt schließlich mit Eurem guten Namen für die Güte der Ware, liebe Fröbelin.«
Unter den vielen Schiffen, die bereits am Ufer festgemacht hatten, fiel es schwer, die richtigen auszumachen. Das aber kümmerte weder ihn noch Gunda.
»Allerdings ist genau das unser Problem«, fuhr er fort, ehe Gunda etwas hätte erwidern können. »Darum bin ich zu Euch ins Wirtshaus gekommen. Dringend müssen wir miteinander sprechen.« Er warf einen fragenden Blick auf Agnes. »Seid Ihr sicher, dass Eure Tochter …«
»Keine Sorge«, wiegelte Gunda ab. »Meine Tochter geht mir bei all meinen Geschäften zur Hand. Sie ist alt genug. Wie Ihr Euch erinnert, war sie auch Ende April bei unserem ersten Gespräch dabei und weiß, worum es bei unserem Handel geht. Mir ist es wichtig, jemanden meines Vertrauens an meiner Seite zu haben.« Sie lächelte Rehbinder vielsagend an. »Wo ist eigentlich Euer Gefährte, der Euch damals begleitet hat?«
»Ich denke, wir werden künftig allein miteinander zu tun haben«, wich er in seiner volltönenden Stimme ihrer Frage aus und schenkte Agnes einen eindringlichen Seitenblick.
Sie musterte ihn unverhohlen. So nah neben der Mutter wirkte er noch kleiner als bei ihrem letzten Zusammentreffen auf dem Wehlauer Markt. Die prallen Wangen des runden Gesichts bildeten am Kragen des Rocks fingerdicke Wülste. Der Hitze wegen staute sich der Schweiß und färbte den Stoff dunkel ein. Immer wieder wischte er mit seinen fleischigen Händen darüber und schnaufte dazu zum Gotterbarmen. Über der Anstrengung rötete sich sein Antlitz, dabei gingen sie gemächlichen Schritts nebeneinander her. Wie zufällig hatte sich Rehbinder zwischen Gunda und Agnes geschoben. Die Vorstellung, welch seltsames Bild sie drei abgeben mussten, erheiterte Agnes. Auf Rehbinders gewaltigem Schädel thronte ein schwarzes Barett, unter dem spärliche, gelblichgraue Haarbüschel hervorblitzten. Kaum reichten die bis zum dicken, kurzen Nacken hinab, der auf deutlich vorgewölbten Schultern saß. Der
Weitere Kostenlose Bücher