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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Sieges der Truppen von König James VII. von Schottland über den englischen William von Oranien gedachte. Jack hatte keine Ahnung, wie man einen solchen Anfall medizinisch bezeichnet hätte.
    Er sah diese Menschen an, die seinen Sieg sichern sollten, und spürte ein hohles Gefühl im Magen. Er musste ständig daran denken, dass Kate und Sophie ein schwereres Rennen bevorstand. Das Dröhnen der Dudelsäcke toste in seinem Kopf. Die Menge ertränkte das tiefe Gebrumm. Er versuchte, sich zu konzentrieren, doch die Kälte in seinem Inneren wuchs.
    Und dann passierte es. Der Franzose fuhr von der Startlinie los. Jacks Trainer gab wilde Signale und deutete auf den verschwindenden Franzosen. Jack dachte: Wie unerfahren. Das arme Schwein ist so nervös, dass er einen Fehlstart hingelegt hat. Doch sein Trainer winkte und brüllte noch immer, und der Franzose war schon zwanzig Meter vor ihm und drehte sich um. Jack dachte: Er wird schon merken, was passiert ist, und dann muss er zur Startlinie zurückfahren, was total peinlich ist. Doch der Typ drehte nicht um. Stattdessen senkte er den Kopf und gab Gas. Also schaltete Jack seinen iPod aus, um die Lage zu klären. Dann hörte er das beängstigende Schweigen der Menge. In der plötzlichen Stille brüllte sein Trainer nur noch Los! Los! Los!
    Scheiße, dachte er, ich habe den Start verpasst. Doch er wusste, dass er den französischen Fahrer mühelos einholen konnte. Er war ruhig. Er erhob sich aus dem Sattel und trat in die Pedale. Der Franzose hatte fünfzig Meter Vorsprung und gab nun jegliche Taktik auf: Er hatte seine Chance erkannt und fuhr einfach nur auf der Linie. Jack gab alles. Er machte sich auf die Jagd und hatte den Vorsprung am Ende der ersten Runde auf dreißig Meter verkürzt. Er spürte, wie sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte, aber es funktionierte. Als er die Linie überquerte, reckte sein Trainer beide Daumen in die Höhe.
    Er strengte sich noch mehr an, zwang das letzte Prozent Kraft aus seinem Körper. Er kam heran. Der Rahmen des Rades wankte bei jedem Tritt in die Pedale. Es war das steifste Rad, das je gebaut worden war, und kam nicht mit der Kraft klar, die er investierte. Am Ende der zweiten Runde war der Franzose nur noch zehn Meter vor ihm. Jacks Puls stieg auf 195, seine Kraftleistung lag bei über tausend Watt. Die Journalisten auf der Pressetribüne hätten eine Elektroheizung anschließen und immer noch genügend Strom haben können, um ihre Laptops zu betreiben. Das werden sie über mich schreiben, dachte Jack: Geil, geil, geil.
    Und dann dachte er: Sophie.
    Ein Bild formte sich in seinem Kopf. Er war allein in einem Zimmer und hielt Sophies Hand, während sie ganz still dalag. Es war schwer zu erkennen, ob sie tot oder lebendig war. Das Bild nahm ihm den Atem und brachte ihn aus dem Rhythmus. Er schwankte, sein Abstand zu dem Franzosen stagnierte.
    Er versuchte, wieder in Tritt zu kommen. Treten treten treten. Atmen atmen atmen.
    Doch das Bild kehrte zurück, war jetzt deutlicher zu erkennen. Sophies Hand in seiner, ihr Gesicht eine reglose Maske.
    Die Bewegungen seines Trainers wurden immer wilder. Er brüllte: Tempo! Tempo! Am Ende der dritten Runde lag Jack zwanzig Meter hinten. Er trat, so fest er konnte, und sein Trainer rief: Na los, Jack, du schaffst es!
    Das Bild kam wieder.
    Er konnte es nicht länger ausblenden. Die Kraft verließ ihn, als hätte jemand Stöpsel aus seinen Fußsohlen gezogen. Der Franzose schlug ihn mit fünfundvierzig Metern Vorsprung. Jack kam gerade erst aus der Kurve auf die Zielgerade, als er ihn mit hochgereckten Händen über die Linie fahren sah.
    Die Menge war still. Das ganze Velodrom war still. Die Luftfeuchtigkeit überwältigend. Der Schweiß lief ihm in heißen Bächen vom Körper. Er rollte zwei Runden aus und hielt sich dann am Geländer fest. Seine Brust hob und senkte sich heftig. Er war zu erschöpft, um vom Rad zu steigen. Der Arzt kam mit seiner Tasche herbeigerannt. Sein Trainer auch, er legte ihm den Arm um die Schultern.
    »Scheiße, was ist da passiert, Jack? Alles okay? Scheiße, was war da los?«
    Der Schmerz brannte in ihm. Es war eine Qual – er hörte sich tatsächlich stöhnen. Der Arzt fragte ihn nach dem Namen des Premierministers. Hielt sein Stethoskop an Jacks Brust. Dave fragte dauernd, ob alles mit ihm in Ordnung sei. Jack saß da und zitterte und ließ sich vom Physiotherapeuten mit einem Schwamm abtupfen, als wäre er ein Rennpferd.
    Seine Gedanken schwankten zwischen

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