Gold
schmerzte von der Tätowierung, der andere von dem Unfall, und sie versuchte, beide außerhalb des Wasserstrahls zu halten. Sie konnte sich nicht waschen, sondern drehte sich nur nutzlos im Kreis. Sie versuchte, ihre Gedanken wieder zu ordnen, was unbedingt nötig war, wenn sie Kate schlagen wollte.
Es war frustrierend, dass ihr Verstand ausgerechnet heute verrückt spielte. Es gab Tage, an denen sie keinen Gedanken an Sophie verschwendete. Dann plötzlich, so wie heute Morgen auf dem Standrad, weinte sie aus heiterem Himmel. In den meisten Nächten träumte sie, sie hätte etwas Namenloses verloren und suchte wie wahnsinnig danach. Zuerst hatte sie gedacht, sie sehne sich nach Gold, doch nachdem sie in Athen Gold gewonnen hatte und in Peking noch einmal, waren die Träume weitergegangen. Manchmal träumte sie auch, sie fahre ein Rennen und werde von etwas Furchtbarem verfolgt, das sie einholte, sobald sie langsamer wurde. Andererseits hatte jeder solche Träume.
Sie stieg aus der Dusche, wickelte sich in ein Handtuch und schaute wieder zum Fernseher, während sie sich die Haare trocknete. Sie zeigten jetzt die Titelseite von gestern, das Foto von ihr und Kate im Tattoostudio. Zoe starrte auf das eingefügte Bild von Sophie. Es gelang ihr immer noch nicht, die Sophie von heute mit dem winzigen Ding in dem Inkubator zu verbinden, von dem alle behauptet hatten, es gehöre ihr. Wenn sie Sophie sah – so wie gestern auf der Rennbahn, als sie grinsend im Korb des Lastenfahrrads gesessen hatte –, kam sie ihr entzückend verrückt vor wie alle Kinder und ernüchternd wie alle Kranken, doch trotzdem regte sich nichts in ihr. Sie empfand mehr für Kate – sie wusste, dass Kate gelitten hatte und noch immer litt, und das rührte sie.
Doch als sie nun das kleine Foto betrachtete, stellte sie fest, dass Sophie ihr unbestreitbar ähnlich sah. Natürlich hatte sie sehr viel mehr von Jack, aber wenn sie sich zwang, genau hinzuschauen, entdeckte sie in Sophie einen Hauch ihres eigenen Gesichts. Es verstörte sie, ihre eigenen Züge mit denen des Mannes vermischt zu sehen, den sie hinter sich gelassen hatte. Denn das hatte sie. Es war das Einzige, worauf sie stolz sein konnte.
An der Spüle in der Küche ließ sie kühles Wasser über das heiße schmerzende Tattoo rinnen.
Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie Sophie nicht aufgegeben hätte? Hätte Jack Kate für sie verlassen? Würden sie jetzt zu dritt zusammenleben?
Sie erlaubte sich die Vorstellung, Jack in ihrem Bett zu haben und seinen leisen Atem zu hören statt der heulenden Leere des Windes, der von den Bergen herüberwehte und den Turm unter seinen Böen erzittern ließ. Eine alte Qual durchzuckte sie, und sie bohrte die Nägel in das frische Tattoo, bis ihr ein Schmerzensschrei entfuhr.
Die Psychologin erklärte, dass jemand namens Zoe Castle die klassischen Symptome eines Menschen aufweise, der etwas verdränge. Sie zählte die verräterischen Anzeichen an ihren diamantberingten Fingern mit den kirschroten Nägeln ab: Promiskuität, der unersättliche Drang zu gewinnen, fehlendes Schuldbewusstsein.
Sie blendeten wieder zu der Titelseite der Zeitung. Unter dem Bild stand: Sophie: Mums Gold würde mir so viel bedeuten.
Zoe versuchte, sich daran zu erinnern, in welchem Zustand sie gewesen war, als sie die neugeborene Sophie im Krankenhaus zurückgelassen hatte. Die Erinnerung daran war verschwommen. Wenn sie an jene Tage zurückdachte, sah sie nur den trüben Nebel der Schmerzmittel und wusste genau, dass sie weinen würde, wenn sie sich genauer zu erinnern versuchte.
Zum ersten Mal fragte sie sich, ob Kate ihr womöglich keine unerträgliche Last abgenommen, sondern ihr in eben jenem Augenblick, in dem sie am verletzlichsten war, etwas weggenommen hatte.
Sie biss sich auf die Lippe und versuchte, klar zu denken. Was, wenn Tom dahintersteckte? Wenn Tom Kate von Anfang an lieber gemocht hatte? Wenn er immer nur versucht hatte, Zoe zu manipulieren und Kate das zu verschaffen, was sie haben wollte? Wenn es gar nicht in Zoes Interesse lag, heute gegen Kate zu fahren, wenn es sich nur um eine weitere Machenschaft von Tom handelte?
Sie schob den Gedanken beiseite. Er war falsch, das wusste sie. Tom war ein guter Mensch, und sie wusste, was er für sie empfand. Sie hatte ihn ja auch gern.
Im Fernsehen zählte die Psychologin Paranoia, wahnhafte Störungen und pathologische Ichbezogenheit an den Fingern ab. Bei der Frau namens Zoe Castle lag so vieles im Argen,
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