Gold
sprang weg und klammerte sich an die nächste harmlose Zerstreuung.
Er betrachtete Zoes Foto in der Zeitung. Er wusste, dass irgendwo in ihrer Vergangenheit ein Kummer begraben lag, der ebenso tief war wie seiner. Er hatte keine andere Erklärung für ihr verzweifeltes Verhalten oder die starke Verbindung, die er zu ihr empfand. Es war keine Liebe – dafür war er zu alt –, sondern eine unerträgliche Zuneigung. Es war noch nicht einmal so, dass er sich ihretwegen wünschte, dreißig Jahre jünger zu sein – für diesen Wunsch sorgte schon das Leben.
Es war frustrierend. Wer sich dauernd nur mit Herzfrequenzen und Laktatschwellen beschäftigte, der bekam vom Leben auch nichts als billige Geräte, um die großen Gefühle zu messen. Der Text von Phil Collins war nicht mehr als das Spiegelbild des Mondes in einem Taschenspiegel, klein und unzulänglich, und doch waren die kleinen Dinge alles, was ihm geblieben war: alte Popsongs in leeren Cafés, die Goldmedaillen, die seine Sportler gewonnen hatten, kleine Wiedergutmachungen, die eine eigentümliche Vergangenheit ihm gewährte, die ganze Jahrzehnte aussonderte, aber jede Sekunde in Zehnteln maß.
Die Zeit hatte sich ihm gegenüber nie gut benommen. Sie lief ab wie eine zerkratzte Schallplatte, wiederholte einen Satz endlos oft und übersprang dann ganze Strophen, so dass Ereignisse entweder zu spät oder zu früh geschahen.
Er spürte noch immer den Druck von Zoes Händen im Kreißsaal. Es war seine Schuld, dass sie das Baby nicht bis zum Ende ausgetragen hatte. Es quälte ihn noch immer, dass er sie nicht hatte überreden können, mit dem Training auszusetzen. Es war ihm nur gelungen, sie ein bisschen zu bremsen. Mit der Schwangerschaft war sie umgegangen wie mit einer Verletzung – sie trainierte weiter, während sie sich in die vorübergehenden Einschränkungen ihrer Leistung fügte. Selbst in der sechsundzwanzigsten Woche hatte er sie nicht dazu bewegen können, sich die Geburt als etwas vorzustellen, das tatsächlich passieren würde.
»Bitte«, hatte er eines Nachmittags im Velodrom gesagt, nachdem er sich ihr auf der Bahn in den Weg gestellt hatte.
»Bitte was?«
»Hör auf damit. Du schadest dem Baby.«
Sie atmete heftig, war schweißüberströmt. »Sei doch nicht so dramatisch. Ich übertreibe nicht. Ich muss nur meine Grundfitness halten. Sobald es draußen ist, arbeite ich an meiner Form für Athen.«
»Zoe, sobald es draußen ist , ist es ein menschliches Wesen, und du bist verdammt noch mal seine Mutter. Rund um die Uhr.«
Sie nickte und schien auf eine weitere Erklärung zu warten.
»Und? Willst du mir weismachen, dass sich der Vater darum kümmert? Mir kommt es vor, als wäre er überhaupt nicht in die Sache involviert.«
Sie warf den Kopf zurück und lachte. »So kommt es dir also vor?«
Er hob die Hand. »Es geht mich nichts an, wer der Vater ist, aber du solltest ihn wenigstens um Hilfe bitten. Babys machen viel Arbeit. Rund um die Uhr. Sie müssen gefüttert und gewickelt und herumgetragen werden, Tag und Nacht.«
»Dann mache ich das eben. Wir finden heraus, wie viele Stunden es beansprucht, und ich füge es in den Plan ein.«
»Es ist keine Aufgabenliste, um die du das Training herumbauen kannst.«
»Was denn dann?«
»Ein Leben. Du solltest dich verdammt noch mal dafür interessieren.«
Sie schaute an ihm vorbei auf die Bahn. »Natürlich interessiere ich mich dafür.«
»Dann steig vom Rad, Zoe. Du bist dreiundzwanzig. Das alles läuft dir nicht weg. Aber jetzt im Augenblick musst du vom Rad steigen.«
Sie starrte ihn an. »Es ist Jacks Baby, Tom. Ich steige vom Rad, wenn er es auch tut.«
Er war so überrascht, dass er Zoes Lenker losließ, und sie war so wütend, dass sie hart in die Pedale trat und sich über alle Sicherheitsgrenzen hinwegsetzte. Immer wenn sie an ihm vorbeischoss, flehte er sie an, langsamer zu fahren, doch sie fuhr nur noch schneller. Schließlich ließ er sich einfach auf einen Sitz fallen und schaute zu.
Nach zwanzig Runden hielt Zoe an, stellte ihr Rad ab und begann mit dem Abwärmen auf den Standrädern in der Mitte des Velodroms. Tom brachte ihr ein frisches Handtuch und ein Isogetränk.
»Alles okay?«
Sie schaute ihn an. Ihr Gesicht war blass, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Tut mir leid«, sagte sie.
»Muss es nicht. Ich bin nur ein alter Schweinehund, der es selbst nie geschafft hat. Ich schätze, du bist einfach besser als ich, sonst nichts.«
Er legte ihr das Handtuch
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