Gold
Fuß über die fleckigen Dielen aus Kiefernholz. »Weil das hier nämlich das einzige Rennen ist, bei dem ich sie wirklich schlagen will.«
Jack schaute sie einen Moment lang an und grinste.
»Warum grinst du?«
»Dann sollten wir Eintrittskarten verkaufen. Wenn hier die Post abgeht, können wir Stühle aufstellen, fünfzig Pfund pro Nase verlangen und ein Vermögen verdienen.«
Mittwoch, 4. April 2012
Türkisches Café, Ashton New Road, Manchester
Tom ging in ein Café, in dem es alle gängigen Zeitungen gab, und setzte sich an einen Ecktisch. Er war der einzige Gast. Es war zu früh am Morgen, hier traf man sich eher abends. In den Regalen standen Wasserpfeifen, und die Wände waren dunkelviolett gestrichen. Hinter dem Tresen aus gebürstetem Aluminium betrachtete ihn der Kellner mit der höflichen Neugier, mit der man alte Männer ansah, die ein wenig aus der Zeit gefallen schienen.
Tom ignorierte ihn und schlug die Zeitung auf, wagte aber zunächst nicht, hinzusehen. Er massierte seine Knie und sah in die helle Morgensonne, die durch den Vorhang aus roten, weißen und blauen Plastikstreifen fiel. Dann kam sein Kaffee, stark und mit Bodensatz, in einer durchsichtigen Tasse. Schließlich warf er einen Blick in die Zeitung.
Die Lektüre machte ihn wie immer müde und niedergeschlagen. Die Kolumnisten waren wie Fliegen, die summend gegen eine Fensterscheibe stießen und hinaus ins Leben gelassen werden mussten. Die Leitartikler wählten ihre Worte wie mittelmäßige Skiläufer, die sich für die sicheren grünen und blauen Pisten entschieden, aber mit dem rhetorischen Tamtam und der geballten Faust eines Abfahrts-Champions ins Ziel schlitterten. Er fragte sich, weshalb die Leute diesen Mist nicht irgendwann satthatten. Und er hatte zugelassen, dass das Leben seiner Schützlinge so davon beeinträchtigt wurde.
Mit jeder Zeile fielen sie in ein Terrain ein, das er hätte verteidigen müssen. Wäre er stark gewesen, hätte er zu Zoe gesagt: Entscheide selbst, ob du den Abbruch willst, was die Zeitungen schreiben, spielt keine Rolle. Hätte er die Integrität besessen, die den Zeitungen fehlte, hätte er seine Fahrerinnen schon am ersten Tag entscheiden lassen, ob sie Mediengesichter mit Sponsorenverträgen sein wollten oder Athleten, für die nur das Ergebnis zählte. Wenn er jetzt in die Zeitung sah, sah er sich selbst. Er hatte zugelassen, dass seine Mädchen sozusagen über die Seiten der Zeitungen rasten statt über die Bretter der Rennbahn – er hatte versagt.
Der Bericht über die Tätowierung hätte schlimmer sein können, toll war er trotzdem nicht. Sie hatten auf der zweiten Seite einen großen Bericht über Kate gebracht und Zoe als Kontrast benutzt. Kate stand im Vordergrund, schüchtern und aufgeregt wegen ihres Tattoos. Sie brachten das Foto mit der Änderung der olympischen Wettbewerbsbedingungen in Verbindung und hielten die Tattoos für eine Wette, so als hätten die beiden da schon gewusst, dass nur eine von ihnen teilnehmen konnte. Die tapfere Kate hält ihre Haut hin , lautete die Schlagzeile. Der Text darunter: Das ist die richtige Einstellung: Die Außenseiterin Kate Argall lässt sich zusammen mit ihrer skandalumwitterten Rivalin Zoe Castle tätowieren. Beide sind geschockt von der Nachricht, dass nur eine von ihnen in London um Gold kämpfen kann. Eingefügt war ein kleines Foto von Sophie mit kahlem Kopf unter der Star Wars -Kappe, die in die Kamera lächelte. Darunter stand: Sophie: Mums Gold würde mir so viel bedeuten .
Er saß einen Moment lang nachdenklich da. Seine Mädchen hatten eine Krise – das war nicht abzustreiten. Er hatte sich immer vorgestellt, dass sie zu dritt ihre letzten Olympischen Spiele absolvieren und dann entscheiden würden, was danach käme. Nun aber musste er sich als Trainer den Problemen stellen. Je länger er wartete, desto labiler wurde Zoe, während Kate die Motivation verlor. Diese Spannung war nicht gut für die beiden; als ihr Trainer hatte er die Pflicht, sie so schnell wie möglich zu durchbrechen.
Hätte er es nur geschafft, nach Stuttgart alles zwischen ihnen zu klären, wäre es danach vielleicht glatter gelaufen. Stattdessen waren Monate bis zur Versöhnung vergangen. Jack war schweigsam geworden und hatte seine Launen auf der Bahn ausgelebt. Wie auch immer Kate sich mit ihm arrangiert hatte, Zoe hatte sie nicht verzeihen können, und Zoe war ohnehin davon überzeugt, dass nicht sie allein die Schuld trug. Sie war launisch gewesen, gefangen
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